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TANZ FÜR UNSER TATSÄCHLICHES MORGEN

EINDRÜCKE UND GEDANKEN DER THEATERTANTEN ZUM EXPLORE DANCE POP UP FEATURE | 10. August 2020

 

 

Die Theatertanten über den Dächern Münchens: v.l.n.r. Julia Schleier, Ivana Koschier, Theresa Spielmann, Paulina Wawerla. Foto: Andreas Erhart.

Wir Theatertanten sind vier Studentinnen der Theaterwissenschaft und schreiben Kritiken zu Theater, Film, Tanz oder was wir uns sonst so erleben. Unser Anliegen ist es, das Verstehen in den Hintergrund zu schieben und uns darauf zu konzentrieren, was eine Inszenierung oder eine Aufführung bei uns bewirkt hat. Eine künstliche Objektivität zu generieren und unseren eigenen Blick außer Acht zu lassen, ist nicht unser Stil. Mit der offenkundigen subjektiven Perspektive wollen wir den Kritikbegriff ausweiten und Kunst für alle zugänglich machen. Keine Hürden erschaffen, die andere abschrecken, sondern ins Gespräch kommen und Sichtweisen nebeneinanderstellen.

Das Pop Up Feature von explore dance bietet zeitgenössischen Tanz für alle. Besonders Kinder und Jugendliche sind die Zielgruppe der Aufführungen. Somit sollen sie bereits bei der Konzeption eines Stücks mitgedacht werden. Die Aufführungen des Pop Up Features spinnen und MOVE MORE MORPH IT! zeigen, dass Tanz mit und für Kinder nicht nur in einem pädagogischen Rahmen oder in einem Tanzkurs stattfinden kann. Auch zeitgenössischer Tanz als künstlerische Aufführung ist für Kinder interessant. Tanz für Kinder bedeutet nicht nur Vermittlung, sondern auch Kunst erleben.

In verschiedenen Vorträgen und einer Podiumsdiskussion wurde auf dem Pop Up Feature von explore dance die Bedeutung und Wichtigkeit von Tanz für junges Publikum besprochen.

 

TAG EINS. MUFFATWERK.

Julia.

 

Donnerstag, 9. Juli 2020. In München ist es endlich mal so richtig HEISS. Die Sonne knallt auf den Asphalt des Muffatwerk-Innenhofs, auf den in bunten Farben mehrere, rechteckige Flächen eingezeichnet sind. Ich frage mich einen kurzen Moment, ob die Bemalung zu einer Kunstinstallation gehört – dann sehe ich die Beschriftungen von A1 bis B5 und mir fällt ein: ach ja, Abstandsregelungen. Der Einlass zum ersten Programmpunkt MOVE MORE MORPH IT! erfolgt blockweise, im Publikum hat jede*r 1,5 m Platz bis zu den nächsten Sitznachbar*innen. Drinnen tragen alle Masken; draußen auch, wenn der Abstand zu gering ist. Dieses ungewohnte Szenario ist Thema Nr. 1 beim Smalltalk im Innenhof, den ich von meinem Block A4 mit anderen Besucher*innen in B5 und A3 führe. Die Stimmung ist aufgeladen von Dankbarkeit und positiver Aufregung darüber, dass es ENDLICH mal wieder eine Kunstveranstaltung gibt, die nicht ausschließlich online stattfindet. Für diesen Live-Moment gehen wir gerne zwischen den einzelnen Programmpunkten kurz raus, um die Halle durchzulüften.

 

Farbige Markierungen vor dem Muffatwerk für die Abstandsregeln. Foto: Ivana Koschier.

MOVE MORE MORPH IT! VON ANNA KONJETZKY. 

Julia.

 

Tänzerin Sahra Huby sitzt bereits auf ihrem Holztisch im eingezeichneten Bühnenbereich in der Mitte der Muffathalle, als Simone Schulte-Aladag noch  Begrüßungsworte an das Publikum richtet. Die Zuschauer*innen sitzen auf zwei gegenüberliegenden Seiten der Bühnenfläche und können sich und ihre Reaktionen beobachten; auch als die Performance anfängt, denn: das Saallicht bleibt an. Ein wunderbarer Bezug auf die unmittelbaren Reaktionen der Kinder, vor denen Sahra Huby das Stück sonst meist performed. Doch die magische Anziehungskraft, von der Julia Opitz auch in ihrem Journal-Beitrag zu MOVE MORE MORPH IT! spricht, bleibt nicht den Grundschüler*innen an der Türkenstraße vorbehalten, sondern breitet sich auch heute unter dem überwiegend erwachsenen Publikum in der Muffathalle aus. Es herrscht eine empowernde Atmosphäre, ein unterstützender Vibe der Freien Szene: Die Künstler*innen besuchen sich gegenseitig, sind im Austausch über ihre Erfahrungen und versuchen ihren Teil zur Etablierung von Tanzstücken für junges Publikum beizutragen. Anna Konjetzkys Performance zeigt, dass Tanz nicht interaktiv sein muss, um für junges Publikum zu funktionieren. Durch Sergej Maingardts intensives Soundsystem und Hubys präzise Bewegungen, die in gegenseitiger Abhängigkeit funktionieren, entsteht eine räumlichere Wahrnehmungsform, ein ganzheitliches Erleben. Ich achte mal NICHT auf die Präzision der Bewegungen und die Technik der Tänzerin auf der einen Seite und auf die dazu verwendete Musik auf der anderen Seite, sondern verstehe sie als Komponenten, die sich gegenseitig bedingen und separat voneinander etwas ganz anderes bedeuten würden. Sahra Hubys Stimme, ihre Atmung und Geräusche, die sie macht, werden verfremdet oder verstärkt, ihre Bewegungen sind also gleichzeitig seh- und hörbar. Durch diese Art zu rezipieren, durch den neuen Code, wird die Zielgruppe deutlich erweitert und das Tanzstück für mehr, und jüngere Menschen erfahrbar.

 


Applaus für MOVE MORE MORPH IT! und die Tänzerin Sahra Huby. Foto: Ivana Koschier. 

 

KEYNOTE VON PEGGY OLISLAEGERS.

Julia.

 

Mit neuen Codes und Realitätsveränderung in Alltagsräumen beschäftigt sich auch Peggy Olislaegers in ihrer Keynote – zugeschaltet via Videoanruf. Die Gedanken und Provokationen, die sie äußert, sind so ehrlich, so unverblümt formuliert, dass ich beim Zuhören gar nicht anders kann, als sie weiterzudenken und zu hinterfragen. Die Wirkung, der Einfluss und die Notwendigkeit von Kunst, von Theaterstücken, von Tanz und Performance ist schon immer heiß diskutiert worden, aber vor allem JETZT, nach Wochen von Home-Office und sozialer Isolation, in denen wir uns nicht oder nur in anderen Konstellationen persönlich treffen konnten, muss die Rolle von Kunst wirklich neu befragt werden. Olislaegers stellt uns Fragen wie: “What is theatre for you? What is dance? Is it a building? A certain make-believe? An attitude?” Oder ist es zwingend ein Live-Ereignis, definiert durch das Wechselspiel zwischen Performer*innen und Publikum?

Die Pop Ups von explore dance sind für schulische Räume oder den öffentlichen Raum konzipiert, die sie auseinandernehmen und denen sie mehr Schichten hinzufügen: Sie verändern die Realität dieser Räume, schaffen eine zusätzliche Wirklichkeit. Laut Olislaegers sollen Kinder mal Körper sehen, die sich anders bewegen, als sie es gewohnt sind. Sie sollen Alltagssituationen sehen, in denen plötzlich alles auf den Kopf gestellt wird.

Aber wie kommen wir dahin? Wird sich die Rolle von Kunst verändern, für eine Zukunft, die noch eine ganze Weile von der Pandemie geprägt sein wird? An dieser Stelle hat Olislaegers einen Ratschlag für uns, den wir aber nicht hören, weil genau in diesem Moment die Skype-Verbindung hakt. Das war einerseits lustig, und andererseits vielleicht auch gar nicht so schlimm, denn so mussten wir uns alle plötzlich selber fragen, wie wir unser tatsächliches Morgen verändern können. Was uns die Corona-bedingten Einschränkungen gezeigt haben, ist, dass wir sehr wohl lernen können, mit unbequemen Situationen umzugehen. Auch die Pop Ups sind manchmal unbequem! Sie holen den Tanz ein Stück weit aus der Bubble raus, bringen ihn an Schulen und berühren nicht nur Leute, die sich zur Szene dazu zählen.

 

Diskussion “auf Distanz” mit Peggy Olislaegers.             Foto: Ivana Koschier.

Was wir Theatertanten genauso unterschreiben würden: Viele glauben immer noch, dass das Verstehen von Kunst an erster Stelle stehen müsse. Dabei lernt man doch so viel mehr, wenn man den Mut hat, Kunst, oder in einem Gespräch über Kunst, mal etwas nicht zu verstehen und das vollkommen okay zu finden. “Get lost in translation!” Kunst für junge Leute ist genauso wichtig wie Kunst für Erwachsene.

Die Diskussion im Anschluss an die Keynote hätte live sicherlich lebhafter und vielleicht auch kritischer sein können, als via Videocall. Abgesehen davon steht Olislaegers Online-Auftritt einem analogen Live-Auftritt aber in nichts nach.

 

FLIEGENDE WÖRTER VON CEREN ORAN, MIT GUDRUN RABER-PLAICHINGER UND RONI SAGI.

Ivana.

 

Die Tanzperformance Fliegende Wörter war eigentlich als erlebbarer Teil des Pop Up Features gedacht, der aber durch die Corona-Maßnahmen leider nicht live stattfinden konnte. Aufhalten lassen hat man sich davon aber nicht und so wurden auf anderem Wege Eindrücke in die Kreation von Ceren Oran gegeben, was nicht nur hier, sondern beim gesamten Feature wunderbar funktioniert hat. Die Maskenpflicht und die Lüftungspausen habe ich ohne zu fragen in Kauf genommen, für die Möglichkeit endlich wieder an einem Event teilnehmen zu dürfen und Ideen, Inspiration und Denkanstöße zu sehen und zu sammeln. Die Pausen konnten wir für den Austausch in kleiner Gruppe nutzen. Gespräche in größerer Runde waren nur mit Masken erlaubt. Das Einlassen in den jeweiligen Sitzgruppen hat mich mit einigen neuen Gesichtern ins Gespräch kommen lassen. Corona als Einschränkung – Nein, danke.

Für ein Nachempfinden des Erlebnisses von Fliegende Wörter wurde zunächst ein Film gezeigt und danach konnte ich live ein ausführliches Interview von Angelika Endres mit der Musikerin und Performerin des Trios in Fliegende Wörter, Gudrun Plaichinger, verfolgen. Der Film, der auch hier zu sehen ist, zeigt die drei Performer*innen (Ceren Oran, Gudrun Plaichinger und Roni Sagi), die in einem Klassenzimmer gemeinsam mit Kindern die Transformation von Geräusch erleben. Eine Transformation in Imagination, in Bewegung, in Musik, in Erinnerung und Gefühle. Dabei finden sie Wörter, die sie im Raum gemeinsam mit den Kindern in musikalische und freie Szenen umformen, die im Klassenzimmer einen neuen Ort erschaffen, weit weg von der normalen Alltäglichkeit, die dieser eigentlich inne hat. Wie Gudrun Plaichinger im Interview erzählt, bereiten sie einige Wörter und den groben Rahmen der Tanzperformance vor, gehen aber im Hauptteil ohne Narration vor. Stattdessen setzen sie auf ihr pures Vertrauen in die Vorstellungsfähigkeit der Kinder und deren intuitive Reaktionen auf das Geschehen. Hierbei kommt der Faktor zum Tragen, der die Tanzperformance unter den derzeitigen Auflagen unmöglich macht: Die Nähe zueinander. Die Möglichkeit einander zu fühlen, zu sehen und auf das direkte Empfinden und Denken reagieren zu können, geleitet von der kindlichen Neugierde. Im Interview gibt Plaichinger einige Beispiele der Assoziations-Ketten und in mir erwacht ebenso meine kindliche Neugierde auf eine solche Erfahrung, wie sie mir hier beschrieben wird. Wie auch Vesna Mlakar in ihrem Journalbericht schreibt, richtet sich die Tanzperformance an die interaktive Erfahrung von Geräusch und Tanz, deren unumgängliche Verknüpfung miteinander und die Tatsache, dass man beides pausenlos im eigenen Umfeld vorfindet, nur vielleicht zu wenig durch die eigenen Augen sieht. Kindern und Jugendlichen diese Erfahrung zugänglich und gemeinsam erfahrbar zu machen, ist für mich ein absolut wertvoller Ansatz, der gerade im Kontext eines Klassenzimmers und dessen eigentliche Inhalte, an noch mehr Wert gewinnt. Ich wäre neugierig, das tatsächlich erleben zu dürfen und herauszufinden, was das Fragezeichen, das am Ende als Open End der Pop Up-Performance für die Kinder zurückgelassen wird, für mich bedeuten würde.

 


Kurze Pause. Stehen mit Maske, sitzen ohne. Foto: Ivana Koschier.

 

SPINNEN VON DEUFERT&PLISCHKE. ZUHAUSE.

Paulina.

 

Inszenierungen online zu schauen, gehört nach diesem Jahr zu fast jedem Online-Auftritt der Theaterspielhäuser. Auch das explore dance Pop Up Feature hat sich entschlossen, den Zuschauer*innenkreis über ein Online-Angebot zu erweitern und ihre Veranstaltungen in einem Livestream auf der Website anzubieten. So konnte ich auch ganz entspannt von zu Hause aus die Inszenierung spinnen von deufert&plischke verfolgen.

Das Stück begann für mich ganz still ohne Ton. Über meinen Laptop, der immer mal wieder streikt, konnte ich den Abend leider nicht von Beginn an auditiv begleiten,  aber dafür sprachen und sprangen die Bilder mich sofort über den Bildschirm an. Die acht Kinder im Bühnenraum bewegten sich in kleinen rechteckig abgeklebten Feldern, nahmen aus einem Beutel nach und nach verschiedene Kleidungsstücke heraus und zogen sie an. In den verschiedenen Kostümierungen begannen sie auf ihren abgeklebten Eisschollen zu tanzen. Für Menschen, die wie ich als Kind am liebsten „Verkleiden“ gespielt haben, der absolute Traum. Die Kleidungsstücke, Perücken und diverse anderen Accessoires gelten für die Kinder als Initialpunkt ihrer Phantasie. Voller Spielfreude und kreativem Bewegungsreichtum tanzt jedes der Kinder in ihrer oder seiner eigenen Welt und erzählt mit dem eigenen Körper Geschichten. Dabei fiel mir besonders auf wie „frei“ sich die Kinder der Musik – die auch ich später hören konnte – nachfühlen und sich treiben lassen. Von Scham keine Spur. Sie scheinen sich ganz und gar wohl zu fühlen. Die Bewegungen werden, trotz Abstandsregeln, ermöglicht, indem die Kinder von Scholle zu Scholle rollen, springen und hüpfen. Mit den äußeren Umständen gingen die Kinder mit einer beeindruckenden Leichtigkeit um.

Auch das Publikum wird in diesen halbstündigen Abend integriert. Unter jedem der Stühle, die auf beiden Seiten der Tanzfläche aufgebaut wurden, klebt ein Zettel auf dem Anweisungen stehen, was während der kommenden Sequenz getanzt werden soll.

 


Eine Tanzanleitung für die Zuseher*innen. Foto: Christine Grosche. 

 

Daraus entwickelt sich eine kollektive Erfahrung und eine Gemeinschaft zwischen dem Publikum, was auch von meinem Laptop aus betrachtet, sehr spannend aussieht. In dem Moment, in dem der ganze Saal den Impulsen ihrer Körper folgt, wäre ich am liebsten in dem Theaterraum gewesen und hätte die Freude der jungen Tänzer*innen geteilt.

 


Die Livestream-Kamera vor den Stühlen mit genau 1,5 m Abstand. Foto: Ivana Koschier.

 

TAG ZWEI. GRUNDSCHULE AM SCHERERPLATZ UND HOCHX.

Theresa.

 

Freitag, 10. Juli 2020. Zweiter und letzter Tag des Pop Up Features von explore dance. Ein etwas anderer Tag als der Erste. Statt Gesprächsformate und Aufführungen gibt es einen Workshop und eine Podiumsdiskussion. Die Kinder tanzen und die Erwachsenen reden über Tanz für junges Publikum. Zwei sehr unterschiedliche Formate, die aber im Endeffekt dasselbe thematisieren. Wie kann Tanz im Schulkontext stattfinden? Klassenzimmerstück, was bedeutet das eigentlich? Antworten auf diese und andere Fragen werden bei den Veranstaltungen „ertanzt“ oder im Gespräch diskutiert.

 

WORKSHOP SPINNEN VON DEUFERT&PLISCHKE.

Theresa.

 

Wie kann man Kinder zum Tanz ermutigen? Nicht alle lassen sich für Ballett, Modern Dance oder Jazz Dance animieren. Das muss ja auch gar nicht sein. Tanz ist auch einfach Bewegung – Gefühle äußern. Tanz kann ein anderes Werkzeug sein, um sich auszudrücken. Eine weitere Sprache, eine weitere Schrift, die man sich aneignet. Da gibt es kein richtig oder falsch, da gibt es auch kein Besser oder Schlechter. Alle Kinder, die an dem spinnen Workshop teilgenommen haben, konnten sich auf unterschiedliche Weise ausdrücken. Alleine oder gemeinsam.

1) Tanzen zu Zeiten von Corona. Gerade in der Zeit von Corona ist es großartig, eine Möglichkeit zu finden, gemeinsam zu sein – gemeinsam zu tanzen. Auch wenn natürlich stark auf Abstände geachtet wird, kann dennoch gemeinsam getanzt werden. Die Kinder bewegen sich zu derselben Musik und beobachten sich gegenseitig, kopieren die Tanzabfolgen der anderen – schauen sich genau zu und lassen die anderen ihre Geschichten erzählen.

2) Individualität entdecken. Die Kinder, alle ca. 9 Jahre alt, haben eigene Geschmäcker und Stile. Während die einen Elemente aus dem Leistungsturnen mitbringen, tanzen die anderen Internettrends nach. Das alles gehört zu dem Repertoire eines Kindes heutzutage. Doch man kann zu noch mehr Individualität ermutigen: „Bewege dich so, wie du dich gerade fühlst. Wie würdest du deinen Anfangsbuchstaben tanzen? Was macht dir Spaß?“ Alles andere ist in diesem Moment unwichtig. Mit solchen Übungen werden neue Gruppendynamiken geschrieben. Die Strukturen, die sonst in einer Klasse herrschen, werden aufgelöst und werden nicht länger beachtet. Die Kinder achten auf die Personen, die um sie herumstehen, egal ob beste*r Freund*in oder nicht.

Zu meiner Schulzeit und in meiner Schule wurde ein Workshop wie dieser nicht angeboten. Wenn nicht die Eltern ermutigt haben, an einem solchen Kurs teilzunehmen, hatte man kaum Zugang zur Tanzwelt. Derartige Workshops ermöglichen Kindern, sich aus ihrem selbst zu entwickeln, ohne jemandem nachzueifern und ohne jemandem gefallen zu müssen. Kreativität wird belohnt und Grenzen werden selbst gesteckt.

 

“AHA-MOMENTE” IM PODIUMSGESPRÄCH.

Paulina.

 

Zum Abschluss des Festivals ließ man die letzten zwei Tage im HochX Revue passieren. Darüber hinaus wurde aber auch ganz grundsätzlich berichtet, welche Erfahrungen in den letzten Jahren im Bereich “Tanz für junges Publikum” gemacht wurden. Die Choreograph*innen Moritz Frischkorn, Anna Konjetzky, Alfredo Zinola, sowie die Sachbearbeiterin im Kulturreferat München Katharina von Korff und die Jugendsozialarbeiterin Petra Schmid-Lenz auf dem Podium. Geleitet wurden die Runde von der Journalistin Elisabeth Nehring. Die Graphic Recorderin Nicole Funke hielt die Inhalte bildlich fest.

 


Graphic Recording von Nicole Funke beim explore dance Pop Up Feature. Foto: Christine Grosche

 

Bei dieser Podiumsdiskussion wurde besonders eindrucksvoll das Potenzial von Klassenzimmerstücken für den ländlichen Raum skizziert und dazu die Erfahrungsberichte von Choreograph*innen, Lehrer*innen und Vertreter*innen der lokalen Kulturpolitik verglichen. Für jemanden wie mich, die mit dem Bereich “zeitgenössischer Tanz für junges Publikum” und insbesondere mit Klassenzimmerstücken wenig bis keine Erfahrung hat, gab es einige “Aha-Momente”.

1) Warum Klassenzimmer und nicht Aula oder Sporthalle. Der Raum, in dem die Kinder tanzen und zeitgenössischen Tanz nähergebracht bekommen, entfaltet das ganze Potential, wenn sich die Kinder in einem geschützten Raum befinden. Außerdem sollte das Tanzen nicht an Sportunterricht erinnern. Die Konkretisierung des Raumes ist also nicht austauschbar, sondern beschreibt das Potenzial der Stücke innerhalb dieses Raumes.

2) Hierarchien und die Besonderheit von externen Lehrer*innen. Die Pop Up Choreograph*innen unterstrichen in der Diskussion, dass es sehr wichtig sei, ihre Stellung als externe Mitarbeiter*innen zu thematisieren. Denn so können sie eine ganz andere Funktion einnehmen, als beispielsweise Sportlehrer*innen oder bereits vertraute Erwachsene. Das Erwachsenenbild der Kinder kann sich dadurch maßgeblich verändern. Anna Konjetzky beschrieb einen Moment, in der eine Lehrkraft ihr die Kinder schon mit ihren “Eigenarten” vorstellen wollte. Allerdings sind diese Zuschreibungen bei der Arbeit mit den Künstler*innen völlig unerheblich, da sie die Kinder auf eine andere, neuartige Weise kennenlernen. Denn die Kinder können andere Rollen einnehmen, als sie es bisher in ihrer Schullaufbahn taten.

3) Verhältnis Ordnung – Unordnung. Von diesem Standpunkt aus, entwickelte sich immer wieder die Frage, von wie viel Struktur der Arbeitsprozess gerahmt werden sollte und wie viel Freiheit die Kinder und Jugendlichen währenddessen haben sollten. Dabei war allen Künstler*innen ungemein wichtig, zu betonen, dass der Freiraum für Dialog immer auch die Möglichkeit in sich trägt, neu zu denken und eine Resonanz ermöglicht. Durch die äußerst intime nonverbale Sprache der jungen Tänzer*innen gibt es ein enormes Potenzial, die Rollenkonstruktion schon in den Kindern zu durchbrechen. Das Verständnis zwischen Erwachsenen und Kindern umzudeuten und neue Möglichkeiten für die Kinder im Umgang miteinander und mit sich selbst zu erkunden.