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BEGRIFFE RATEN – MIT STIFT, SOUND UND TANZ

 

Mit ihrem Pop-Up-Tanzstück Fliegende Wörter sensibilisiert Choreographin Ceren Oran Schulkinder für Bewegung als Medium und vermittelndes Element der Kommunikation. In einem mental gemeinhin eng und eher streng mit dem schulischen Pflichtprogramm verknüpften Klassenraum hinterlassen drei Akteur*innen ungewöhnlich andersartige Denk- und Erinnerungsspuren. Aufhänger der interaktiven Performance: Geräusche und Tanz sind jederzeit überall. Neugier zu wecken, die Kinder zu motivieren, zu couragieren und zu inspirieren, findet Oran, sei der wichtigste Aspekt dabei.

 

Von Vesna Mlakar | 28. Februar 2020

 

 

Man kennt sie: herrliche Aufklapp-Bilderbücher. Sie ziehen ihre Wirkung aus dem Überraschungsmoment. Dem Augenblick des Umblätterns. Egal, was inhaltlich in ihnen steckt. Oft sind diese Pop-Up-Publikationen – begrifflich hergeleitet vom englischen Begriff „to pop up“ – künstlerisch liebevoll konzipiert und logistisch aufwendig gestaltetet. Schlägt man den Buchdeckel oder eine neue Seite auf, springen einem bunte Blumenarrangements, Landschaften mit Tieren, Figuren inmitten einer Örtlichkeit oder sonstige Komplettszenarien entgegen. Dreidimensionale Welten aus verschachtelten Elementen eben, die – vergleichbar lebenden Bildern aus dem Theater – ihre Wirkung aus Gestalt, Farbe und Komposition ganz unmittelbar entfalten. Meist stumm und dekorativ-bewegungslos, fesseln sie den Geist und fordern die Vorstellungskraft heraus. Solange, bis man sie einfach wieder zuklappt.

 

Institutionalisierung der Format-Idee Pop-Up im Kreativbereich „Junger Tanz“

 

Was aber passiert, wenn man die Idee des spontanen Aufpoppens von Bildern und Geschichten in Momentaufnahmen auf den Performance-Bereich und insbesondere auf das Genre Tanz überträgt? Pop-Up-Bücher sowohl für Kinder als auch für Erwachsene erfreuen sich ja lange schon wachsender Beliebtheit. Gleichzeitig sind Besuche von Profis aus dem künstlerischen Metier (sei es Musik oder Tanz) in Schulen bzw. Angebote von Staats- und Stadttheatern für Lehrer*innen und Schüler*innen kein Novum mehr.

Längst hat man deren Bedeutung für die künftigen Generationen erkannt. Die Palette der Möglichkeiten – gewiss eine Chance – nimmt beständig zu. Bestimmte Kompanien haben sich bewusst dem wichtigen sozialen Aspekt verschrieben, Tanz an ungewöhnliche Orte und direkt zu Menschen zu bringen, für die diese Kunstform ansonsten unerreichbar bliebe. Erwähnt sei beispielgebend die Gauthier Dance Company am Theaterhaus Stuttgart mit eigenem Modul Gauthier Dance Mobil, bei dem das Ensemble mit maßgeschneidertem Repertoire in Schulen, Krankenhäusern oder Altersheimen auftritt. John Neumeiers Bundesjugendballett in Hamburg zeigt seine Kreationen gleichfalls jenseits von Theaterbühnen – sogar in Justizvollzugsanstalten.

In seiner dreijährigen Pilotphase hat sich die städteübergreifende Kooperationsinitiative explore dance – Netzwerk Tanz für junges Publikum mit seinen drei Partnerinstitutionen fabrik moves, Fokus Tanz/Tanz und Schule e.V. und K3 | Tanzplan Hamburg dazu entschieden, Direktheit und Mobilität von Tanzvermittlung in Klassenzimmern um Pop-Up-Performances als neues Format in Anlehnung auch zu Popup-Stores oder Popup-Lokalen zu erweitern. Ein findiger Anstoß, der im Angebotspool der Förderung von Tanz für junges Publikum gut ankommt. Das zeigte einmal mehr ein Workshop- und Aufführungsbesuch der im Dezember 2019 uraufgeführten Kreation Fliegende Wörter von Ceren Oran im Musikklassenzimmer der Münchner Grundschule am Bauhausplatz. Zu Orans Performanceteam zählten ihr aus Israel stammender Tanzpartner Roni Sagi und die oberösterreichische Musikerin Gudrun Plachinger.

 

Die Bühne bedienen oder Neues ausprobieren?

 

Bereits seit 2018 erarbeiten stilistisch ganz unterschiedlich ausgerichtete Choreograph*innen der drei Partnerstädte Potsdam, München und Hamburg pro Saison je eine Bühnenproduktion und ein sogenanntes Pop-Up, das sich leicht in Schulen und vielseitigen öffentlichen Räumen aufführen lässt. Nach den Vorgaben für das kleine, mobile Format gefragt, berichtete Oran, dass laut Ausschreibung, auf die sie sich beworben hat, die Anzahl von drei Mitwirkenden nicht überschritten werden darf. Das Budget für Produktion und Akteur*innen ist vorab präzise festgelegt, ebenso die Begrenzung der Probenzeit auf einen Monat. Konditionen, die schon vorab zwischen einem Bühnenauftrag, der mehrere Rollen und Ebenen erfordert, oder dem kompakteren Pop-Up unterscheiden.

Üblicherweise werden für die Arbeit im Studio an einer neuen Produktion mindestens sechs bis acht Wochen eingeplant. Damit nicht genug. „Die Entwicklung eines Stücks, die Erarbeitung der Grundlagen und die Vorbereitung der Proben beschäftigt mich in der Regel drei bis vier Monate“, holt Oran aus. Das sei nicht vergleichbar mit dem zeitlichen Aufwand für ein Pop-Up-Stück. Allerdings bestünde hier die Herausforderung, ein ganz anderes Konzept zu managen, das den Künstler*innen erlaubt, direkt in die Zielgruppe hinein und auf das Publikum zuzugehen.

 

Magie der Verfremdung

 

„Heute – nach gemachter Erfahrung – kann ich den Unterschied folgendermaßen beschreiben: Ein Bühnenstück verströmt eine andere Art von Magie. In Schön Anders, meiner nächsten Uraufführung on stage, die sich an die gleiche Altersstufe richtet, lade ich die Kinder dazu ein, die magische Welt des Theaters zu betreten. In Fliegende Wörter dagegen mische ich mich ein und beschäftige mich mehr mit dem alltäglichen Kosmos von Kindern. Die Schüler*innen sind Teil unserer Aktion(sfläche), wir interagieren und improvisieren folglich stärker. Etwas, was abseits der konkreten Location in nüchterner Studioatmosphäre, ohne von den Zuschauenden umringt zu sein, sehr viel schwerer zu proben und einzustudieren ist. Schließlich verändern sich die räumlichen Bedingungen und Gegebenheiten ja von Aufführungsort zu Aufführungsort.“

Ihre generelle Herangehensweise umschreibt Oran so: „Der Ansatz und unser Workflow bis zur Premiere war bei Fliegende Wörter komplett anders. Wir verbrachten einen Monat im Studio, unterbrochen von drei Tagen, an denen wir gemeinsam vier Workshops abhielten. Dass wir die Kinder nicht erst in der letzten Woche als Zuschauer dazu holen und ihre Reaktionen austesten wollen, sondern schon früh mit in den Kreationsprozess einbinden, stand von Anfang an fest. Sie in unsere Recherche zu involvieren, zu befragen, ihnen Inputs zu geben und im Gegenzug auch Anregungen von ihnen anzunehmen, war Teil meines Konzepts.“

 

Spontaneität und Improvisation statt Requisiten

 

Ob bzw. inwieweit Kindern und Jugendlichen Unterschiede zwischen den zwei Formaten, zwischen einer Bühnen- und einer mobilen Produktion auffallen? Ein Blickwinkel, den man vielleicht beim zweiten explore dance Festival vom 8. bis 11. Juli 2020 in München näher unter die Lupe nehmen kann. Dann, wenn alle sieben im Rahmen von explore dance entstandenen Produktionen der Spielzeit 2019/2020 kurz hintereinander zu erleben sind. Mit dabei auch Ceren Orans Fliegende Wörter – ein charmant als Erfahrungsparcour angelegtes Pop-Up für Kids ab sechs Jahren

Auffällig bei dieser ausstattungslosen, quasi requisitenfreien, unterhaltsam-kurzweiligen Produktion: die originelle Art und Weise, mit der die drei Performer*innen den Klassenraum als solchen (aus)nutzten und mit diversen Einfällen von Verfremdung bespielten. Zudem der hohe Anteil an Interaktionen. Und wie das Plötzliche, Spontane und nie die Konzentration Überstrapazierende eines Pop-Ups die Uraufführung strukturell bestimmte.

Von Sigrid Wurzinger in luftig-legere, braune Outfits mit wenig Schnickschnack gekleidet, marschieren Ceren Oran, Roni Sagi und Gudrun Plaichinger durch die Klassenzimmertür. Innen angekommen, blicken sie munter in die Runde. Die Schultische wurden zuvor an die Wände geschoben und die niedrigen Bänke in ein Halbrund davor. Sitzplätze für die Kinder und Lehrer der Klassen drei und vier. Es herrschen Enge und erwartungsvolle Stille.

 

Den Raum hörbar erkunden

 

Hörbar bauen sich die drei Performer*innen im Raum auf. Aus einer mitgebrachten Leinentasche holen sie nach und nach das instrumentale Zubehör hervor. Ein Kabel darf sich laut über den Boden schlängeln. An der elektronischen Buchse für den Sound mit ihren vielen Steckern hantieren die drei im fliegenden Wechsel. Mit einem ersten auf die Tafel gekritzelten Wort bringt Oran das gemeinsame Tun in seiner Abstraktion auf den Punkt: „Geräusch“.

Dann geht das hörbare Erkunden des Raums los. Man rutscht mit dem Mülleimer über den Boden. Roni schabt mit seinen Nägeln über ein Stück Teppich. Ceren schnappt sich das Pult und einen Stuhl. Sitzend trommeln ihre Finger über die Schreibfläche. Augenblicke später bringt sie ihren Körper auf der Tischplatte zum Liegen und betrachtet, Hände und Füße tastend in der Luft, neugierig die Decke. Am Waschbecken – in der entgegengesetzten Ecke des Raums – folgt nach einem leicht akrobatischen Sprint quer über die Zuschauerreihen hinweg ein vom Plätschern aus dem Hahn begleitetes Händewaschduett.

 

Tanz als Ausdrucksmittel und Thema

 

Niemand schlüpft hier in eine fremde Rolle oder wird zu einer Figur. Lediglich die Art, wie die zwei Tänzer*innen und die Musikerin miteinander kommunizieren, hebt sich vom zwischenmenschlichen Umgang im Alltagsleben ab. Zu Beginn der Aufführung verkörperlicht das Trio Denken, Wahrnehmung und Empfindungen, anstatt sich verbal verständlich zu machen. Herabgebrochen auf wesentliche Ingredienzien vermag Fliegende Wörter spielerisch aufzuzeigen, was Tanz und was Raum für eine Choreographie ausmacht.

Ein Thema, das sich auch wie ein roter Faden durch den vorbereitenden Workshop zog. Im Fokus einer Sequenz stand zum Beispiel die herausfordernde Aufgabe, mit verbundenen Augen den Weg durch ein Labyrinth am Boden liegender Körper zu finden. Einzig dirigiert von Live-Klängen. Da muss man schon gut intus haben, wo rechts und wo links ist, um beim Hören der Rassel bzw. Reibe richtig abzubiegen. Wer als Xylophonspieler*in eingeteilt war, ließ den/die Mitschüler*in mit Augenbinde solange geradeaus laufen, bis sein/ihr Instrument verstummte. Ein für alle ziemlich konzentrationsintensiver, erfahrungsreicher Spaß.

 

Mit wenig Technik zur Aufführung

 

Lustiger Höhepunkt eines der Blinde-Kuh-Orientierungsparcours: Der Mix kleiner Fehler führte einen Kandidaten durch die ihm lautlos geöffnete Tür hinaus auf den Gang. Zuschauende und Mitspielende – alle lachten laut. Und lehnten das Angebot, eine kurze Pause einzuschieben, einstimmig ab. Zum Auftakt des nächsten Workshop-Abschnitts sollten die Kinder ihr Lieblingstier mit Hilfe einer Bewegung und eines Klangs beschreiben. Danach wurde darauf eingegangen, warum man hier versammelt war und was es heißt, ohne Möglichkeiten, viel Technik einzusetzen, ein Stück in einem Klassenzimmer aufzuführen. Ein Kenntnisaustausch mit Fragen und Antworten.

Gudrun Plaichinger hebt ihre elektronisch verstärkte Geige unters Kinn. Vorhänge werden geräuschvoll zu- und wieder aufgezogen, Lappen gegen das Waschbecken geschlagen, das Licht schnell an-, schnell ausgemacht. Ratsch. Patsch. Klick, klack. Klick, klack. Eine(r) der Tänzer*innen bückt sich – offenbar erfordern die Schnürsenkel Aufmerksamkeit. An der Tafel prangt das nächste Wort „Klang“.

Mit den Armen durch die Luft rudernd, schmiegt sich Ceren zu einer Gruppe Kinder. Bald werfen sie und Roni sich verschiedene Moves zu. Reagieren abwechselnd mit Bewegungen erst nur aufeinander, um dann auszuschwärmen und über weich schlenkernde Handwellen Kontakt zum Publikum aufzunehmen. Impulsiv antworten ihnen einige Schüler*innen, andere probieren das Vokabular mal so für sich aus. Bloß die Viertklässlerin neben mir will lieber wissen: „Wie viele Seiten haben Sie denn schon in ihr Notizbuch geschrieben?“ Und kommentiert: „Cool, kommt das dann auch ins Internet?“

 

Stringente Verzahnung: Workshopelemente werden Bestandteil der Performance

 

Nach und nach bringen Musik und sich zunehmend verzahnende Tanzelemente den Begriff „Rhythmus“ ins Spiel. Arme mutieren zu Lassos und zwischen Tänzer*innen und Schüler*innen zischen Schwünge durch den Raum. Als Plaichinger den Sound abdreht, hallt das Atmen noch nach. Verausgabung beim Tanzen zählt allerdings nicht zum Pool von Ceren Orans Wortkettenkonstrukt, das die kreative Reise im Klassenzimmer zum Fließen bringt.

Wie das bei Fliegende Wörter funktioniert, veranschaulichten Oran, Sagi und Plaichinger im dritten und letzten Teil ihres ersten Workshopbesuchs, indem sie die Frage „An was denkt ihr beim Wort Meer?“ in die Runde der Kinder warfen. „Musiker*innen und Tänzer*innen versuchen dann, gesammelte Assoziationen (Strand, heiß, kalt, Eis) durch Klang und mit ihren Körpern darzustellen.“ Als Demonstration dient ein kurzes Duett, bei dem Ceren und Roni sich – mal hochgereckt, mal zusammengekrümmt – eng beieinander mit ihren Körpern umschlackern. Gudrun begleitet sie mit einem akustischen Wechselbad an Stimmgeräuschen. Den Ausgangsbegriff „Feuer“ errät zwar niemand auf Anhieb. Doch wird in der Premierenvorstellung die dort eingebaute Passage von denen wiedererkannt, die am besagten Workshop teilnahmen.

„Es gibt kein falsch oder richtig“, erklärt und betont Oran. Und freut sich über die vielen unterschiedlichen neuen oder aus dem vorangegangen Kontext hergeleiteten Eindrücke der Kinder an der Tafel, darunter: „Tanzen“, „Traum“, „Schlange“, „komische Wörter“, „Dschungel“, „Wasser“, „aufregend“ „Ballett“, „Meer“ oder „Strand“.

 

Eigene choreographische Schritte

 

Zum Schluss dürfen die Schüler*innen im Workshop selbst ran. „Es ist nur ein Spiel – ihr habt keine Premiere morgen“, ermuntert Oran die sechs Gruppen. Jede hat einen Zettel gezogen und nun einige Minuten Zeit, in Teamarbeit eine lautmalerisch-tänzerische Umsetzung von „Gorilla“, „Bahnhof“, „Orchester“, „Meer“, „Spielplatz“ und „Familie“ auszutüfteln. Herrlich, die kurzen Auftritte zu beobachten. Erste eigene choreographische Schritte. Sogar eine ganze Geschichte ist dabei. Man sieht einen Surfer, der ins Wasser fällt und überrollt wird – von einer großen Welle oder einem verärgerten Wal. Stoff, aus dem ein Stück entstehen kann.

Ceren und Roni sind bei der Premiere nicht lange außer Puste. Mit ihrem Einwurf „Ich liebe es – es ist heiß, gefährlich, aber wunderschön anzusehen“ schlägt Gudrun Plaichinger Kapitel zwei des Pop-Ups Fliegende Wörter auf. Sie geigt eine volkstümliche Melodie, während die einander gegenüber stehenden Tänzer*innen einen Hüpftanz vollführen und sich anschließend an Gliedern ziehen, stoßen, fallen, umarmen und verkeilen.

Von „Feuer“ über „Hüpfen“ landet das Trio beim Wort „Wir“. Die Musikerin windet sich aus der gemeinsamen Knotenfigur und verbindet Oran mit ihrem Stoffgürtel die Augen. Nun gehört es zum Stück, dass sich die Tänzerin im Raum von Klopfgeräuschen und Mundplops der Kolleg*innen leiten lässt. „Suche“ ist das hierzu passende und auf der Tafel nachgereichte Wort. Ein Orkan aus Rütteln an Stoffen, Klatschen und Pfeifen hebt an, während Ceren sich an Schultern und Beinen der Zuschauer*innen entlangtastet und schließlich in einer Art blindem Wiegetanz zur Ruhe findet.

 

Eine Frage der Rezeption

 

Am Eindrücklichsten bleibt bei den Schüler*innen die Visualisierung von „Spiegel“ im Gedächtnis haften. Eine hübsch auf zwei Stühlen vor zwei Pulten vis à vis ausgetanzte Szene zu fetzigen Geigenklängen und voller spiegelbildlich ausgeführter kleiner Gesten und Fingerspiralen. Zuletzt springen Ceren und Roni auf. Er hechtet zu den vordersten Reihen und imitiert Posen und Haltungseigenarten der Kinder – ganz nach dem Prinzip des Tischduetts. Sie aber zieht plötzlich Stecker für Stecker, bis selbst Gudrun und ihrer munteren Geige der Saft wegbleibt. So selbstverständlich, wie sie aufgetaucht sind, packen die drei ihr Zeug wieder zusammen und ziehen ab. Ein Abgang wie gemacht, die formatgebende Idee „to pop up“ choreographisch ins Gegenteil zu verkehren. Hinter das letzte Wort „Ende“ aber malt Ceren Oran beim Rausgehen noch fix ein Fragezeichen. Cleverer Aufhänger für das Nachgespräch!

Alles fügt sich in Fliegende Wörter logisch und puzzleartig zusammen. Aber was wäre ein Premierenerfolg ohne Ausreißerfrage? In der Grundschule am Bauhausplatz lautet diese: „Was ist eure Religion?“ Heimwärts muss ich über Orans ehrlich-diplomatische Antwort schmunzeln: „Menschlichkeit!“. Ein schönes Ideal, das auch ihr Pop-Up-Debüt Fliegende Wörter und ihren professionellen Zugang in der Jugendarbeit auszeichnet.

 

Choreographin Ceren Oran und ihre Gedankenwelt

 

Choreograph*innen jonglieren oft mit unterschiedlichen Aufführungsformaten. Da ist die 35-jährige Ceran Oran mit Kinder- und Erwachsenenuraufführungen für Bühnen der freien Szene oder einem Tanzmarathon auf öffentlichen Plätzen im Stadtraum München sicher keine Ausnahme.

Warum sie ausgerechnet das Konzept Pop-Up so in den Bann zog, sobald sie die Ausschreibung in den Händen hielt – Ceren Oran weiß es nicht genau. „Vielleicht war da schon länger so eine Parallelidee in meinem Kopf, mit weniger Raum umzugehen. Der Auslöser für meine Entscheidung, das kleine Format zu wählen, platzmäßig statt einer klassischen Bühnensituation nur ein Klassenzimmer zur Verfügung haben zu wollen. In meiner Entwicklung und über ein Unterrichten in Workshops an Schulen einen Schritt weiterzugehen.“

Sie schätzt an explore dance „dass man hier vielen verschiedenen Künstler*innen, die in ganz diversen Stilrichtungen arbeiten, Raum gibt. Deshalb freue ich mich auch auf unser Treffen beim Festival im Juli. Da werden wir sehen, wie vielfältig die Muster der einzelnen Choreograph*innen und Tänzer*innen sind.“

 

Fliegende Wörter – von der Idee zum fertigen Stück

 

„Anfangs wollte ich mit Soundpainting arbeiten.“ Die 1974 von dem New Yorker Komponisten Walter Thompson entwickelte Live-Musik-Zeichen-Sprache gehört seit 2010 zu Ceren Orans Laufbahn. „In den Proben löste sich diese Idee aber bald in Nichts auf. Geblieben ist die Gedankenverbindung zwischen Wörtern und deren Bildhaftigkeit. Die Frage, wie Worte vor allem durch Bewegung und Musik zu Bildern werden.“ Sich vorzustellen, was man hört, wenn man „Honig“ liest, wurde im Team zum anregenden Running Gag.

„Diese Art Arbeitsprozess – eine Ableitung von Wortassoziationsketten – halte ich für wichtig, um die Interpretations- und Abstraktionsfähigkeit von Kindern im künstlerischen Bereich zu fördern. Allmählich entwickelte sich daraus die dramaturgische Struktur unseres Stücks.“ Wie sonst auch in Orans Schulworkshops wurden die Klassenlehrer*innen mit eingebunden. „Das rege ich immer an. Sie sind Vorbilder und eine zusätzliche Motivation für die Kinder.“

 

Mehr als bloß Publikum: Kinder als Kreationspartner

 

Rückblickend resümiert Ceren Oran, wie aufgeschlossen und wissbegierig die Schüler*innen vom ersten Moment an waren. Offen und bereitwillig griffen sie auf, was man ihnen an Anstößen und Aufgaben anbot, und waren begierig, selbst Erfahrungen zu sammeln. Gut war, wie organisch es gelang, sie auf die Premiere vorzubereiten und ihnen gleichzeitig das Gefühl zu vermitteln, Teil des Ganzen zu sein und zum Gelingen der Kreation beizutragen.

„Kinder können eine sehr vielseitige, überraschende Inspirationsquelle sein. Wir verlieren ja mit dem Älterwerden unsere Kindsköpfigkeit. Es ist immer wieder erstaunlich, was sie einem Stück alles entnehmen, wie sie das Gesehene kommentieren und welche Fragen sie stellen. Mich motiviert das und bringt mich dazu, manches klarer zu sehen. Als Kreationspartner*innen schätzte ich sie überaus.“