REBEL GIRL

REGINA ROSSI: PUNK, BEAT…LOL!

„Ich bin sehr begeistert von der Wut“, sagt Choreografin Regina Rossi. Das junge Publikum ihres Stücks „Punk, Beat…LOL!“ aber findet Wut eher uncool. Gut so. Aus diesem Widerspruch entsteht eine Spannung. Und aus dieser Spannung entsteht Tanz, den man im Rock’n’Roll genauso findet wie im Pogo und in den Widerstandschoreographien der Black Panther Party.

Von Falk Schreiber | 03. März 2021

 

Zum Einstieg eine Wikipedia-Recherche. Laut dem Online-Lexikon ist Wut „eine sehr heftige Emotion und häufig eine impulsive und aggressive Reaktion (Affekt), die durch eine als unangenehm empfundene Situation oder Bemerkung, z. B. eine Kränkung, ausgelöst worden ist. Wut ist heftiger als der Ärger und schwerer zu beherrschen als der Zorn.“ (https://de.wikipedia.org/wiki/Wut) Aggression, Unangenehmes, Kränkung – das sind nicht gerade positive Kontexte, in denen man sich hier bewegt. Regina Rossi aber, Hamburger Choreografin und Performerin, deren Arbeiten regelmäßig auf Kampnagel uraufgeführt werden, sucht einen anderen Zugang zum Themenkomplex.

Die Anfangsszene von Rossis Klassenzimmerstück „Punk, Beat…LOL!“ Aus dem Off erklingen Stimmen, die beschreiben, was sie wütend machen kann: wenn nicht aufgeräumt ist. Wenn man nicht ernstgenommen wird. Rassismus. Dann stellt sich Rossi vors junge Publikum und fragt, was hier im Raum für Wutgründe existieren. Aber weil die Antworten nicht schnell genug kommen, baut sie Druck auf. Nach und nach ist es in erster Linie Rossi, die einen wütend macht, wie sie dasteht, im zu großen Anzug, mit fordernder Stimme und expansiver Gestik, ein starker, aggressiver Störfaktor in der Publikumsbequemlichkeit. Das ist kein Theaterstück, das ist eine Unterrichtsstunde. Und zwar eine ziemlich autoritär aufgebaute.

Tatsächlich ist das Zentrum des Stücks eine Nachhilfestunde zu Wut und Popkultur. „Ich bin sehr begeistert von der Wut“, beschreibt die Performerin ihren Zugang zum Thema. Allerdings: Laut der Sinus Studie der Bundeszentrale für politische Bildung ist die junge Generation nicht wütend. Die findet Wut uncool. „Junge Leute wollen Job, Familie…Geborgenheit, Sicherheit, Orientierung und ein stinknormales Leben“, liest Rossi vor, und da passt es nicht, den Blutdruck hochzujagen. Was wiederum Rossi nicht passt: Wut, das ist für sie Kraft. Leidenschaft. Bewegung und Tanz.

Tanz? Tatsächlich übersetzt „Punk, Beat…LOL!“ Wut in Tanz, indem die Performerin Affekte in Bewegungen überträgt. Freude zum Beispiel sei eine Bewegung nach oben, Trauer nach unten, Angst nach hinten. Und Wut gehe entsprechend nach vorn. Ein Tritt, ein Ausfallschritt, ein Boxen. Ein Tanz. Klar, Rossi ist Choreografin, natürlich mündet die wütende Bewegung bei ihr in Tanz. Im ganz wörtlichen Sinne: Die rund 45-minütige Produktion nämlich entpuppt sich als kulturhistorischer Abriss über den Einfluss von Wut auf die Popkultur, und da beschreibt Rossi ausführlich, wie Pop und Wut sich im Tanz entladen, in „Tanzschritten, die angeblich wirklich gefährlich waren“, wie es an einer Stelle heißt. Im Hüftschwung von Elvis Presley. Im Twist von Chubby Checker. Im Pogo von Iggy Pop. Die Videokünstlerin Katharina Duve projiziert ikonographische Bilder an die Wände, und Rossi stellt diese Bilder nach: Aus Geschichte wird Körper. Aus Wut wird Tanz. „ Es waren vor allem Körper und Worte, die diese Wut ausgelöst und ausgedrückt haben“, fasst Rossi zusammen. „Also: ohne Wut im Körper keine Pop-Kultur.“

Die Lecture nähert sich der Gegenwart: Vom Rock’n’Roll geht es zum Punk, von dort zum Black-Panther-Movement und zur feministischen Übernahme der Wut durch die Riot Girls, und dazu füllen die jeweiligen Sounds den Raum, Beat, HipHop, Grunge. Aber die Wut ist keine Welle, die das Publikum überrollt, die Wut bleibt distanziert und reflektiert. Die theatralen Mittel nämlich liegen ständig offen, jede*r sieht, dass die Musik mal vom MP3-Speicher kommt, mal aus einem leiernden Walkman und mal von einem portablen Plattenspieler. Und dass die Bilder auf einem Handybildschirm zu sehen sind, der mit einer komplizierten Kamerakonstruktion abgefilmt wird, damit das zu Zeigende an der Wand auftauchen kann, sieht zwar umständlich aus, offenbart aber eindrücklich, wie die Bilder entstehen – auf dass man die Wut analysiere und sich ihr nicht headbangend hingebe. Auf der anderen Seite ist auch der Tanz nicht in erster Linie Entäußerung, sondern ein geordnetes System, dessen Ordnung Rossi an einer Stelle explizit macht. „Beide Knie beugen – Beine strecken“, beschreibt sie enervierend genau die Bewegungsabfolge beim Pogo. Aber dass dann das Ergebnis ein wenig spektakulärer Hüpfer ist, beweist, mit wieviel Humor diese Arbeit arbeitet.

Es hat aber auch zur Folge, dass die Produktion nicht im Abarbeiten historischer Eckpunkte steckenbleibt. Fast unmerklich ist „Punk, Beat…LOL!“ von der Lecture zum körperlichen Nachspüren der Wutausbrüche geworden. Und derweil hat sich auch die Performerin verändert. Das Sakko wurde längst wütend ins Publikum gepfeffert, ihre Frisur mit Hilfe von großen Mengen Haarspray zum wilden Durcheinander gestylt, am Ende, im Riot-Girl-Kapitel, hat Duve ihr ein Band-T-Shirt designt. „Rebel Girl“ prangt jetzt krakelig auf ihrem Oberkörper, nach einem alten Bikini-Kill-Song: Punk, das ist auch ein Bekenntnis zum Do-it-yourself.

Von hier aus wäre es möglich, eine Brücke in die Gegenwart zu schlagen, zum Slackertum, zum zeitgenössischen Popfeminismus. Zumindest steht da jetzt eine junge Frau, die optisch anschlussfähig an die Welt des Publikums ist, mit Shirt, Wollmütze, Kopfhörer, das schreit danach, an aktuelle Diskurse anzudocken. Ohnehin sind diese Verbindungen ins Heute bei „Punk, Beat…LOL!“ nicht überdeutlich, aber im Hintergrund immer da (die Expert*innen der aktuellen Popkultur sitzen ja im Publikum und brauchen keine Nachhilfe): Wenn etwa Duve Bilder verschiedener Punkbands collagiert, dann erinnert das an die Schere-Klebstoff-Ästhetik früher Fanzines, so etwas ist einerseits näher an der Jugend der Künstlerin als an der des Publikums. Andererseits wird die künstlerische Nostalgie nicht zu weit getrieben: Die Bilder mögen selbstgemacht sein, sind dabei aber weiterhin digital, entstehen auf dem Handy-Bildschirm und werden per Digitalkamera und Beamer vergrößert. Die Fanzine-Kultur überlagert sich so mit der Meme-Ästhetik in sozialen Medien und Blogs.

Doch bevor man sich zu wohl fühlt, bricht das Stück die Situation noch ein letztes Mal. Hefte raus, Klassenarbeit: Rossi fragt ab, ob man auch alles verstanden hat, ein Arbeitsblatt wird ausgeteilt, man muss eine Handvoll Fragen beantworten, und erst die letzte sorgt dafür, dass der Frust über die geforderte Leistung in Wut kanalisiert wird: „Zerknülle das Blatt und bewirf die Künstlerin damit!“, steht da. Und das ist dann der Moment, in dem der Raum zu tanzen beginnt: der Moment, in dem Papierknäuel durch die Luft fliegen. Das ist ein Akt der Befreiung, die einen weiteren Aspekt der Wutarbeit berührt – die Befreiung. Wut will befreit werden, wenn sie das nicht wird, sucht sie sich seltsame Auswege, und der Wütende wird schlimmstenfalls zum Wutbürger. Dann lieber: die Performerin beschmeißen.