
Neue Impulse für das Netzwerk: Im Gespräch mit den neuen Partnerinstitutionen von explore dance
Gemeinsam zeitgenössischen Tanz für junges Publikum nachhaltig stärken
Mit dem Künstler*innenhaus Mousonturm aus Frankfurt am Main und Perform[d]ance aus Stralsund hat sich explore dance um zwei neue starke Partner*innen erweitert. Die beiden Institutionen vergrößern nicht nur die Basis des Netzwerks auf nunmehr sechs Partner*innen aus sechs unterschiedlichen Städten und Bundesländern, sondern bringen vor allem eigene künstlerische Profile und Erfahrungen in der Arbeit mit jungem Publikum ein.

Das Künstler*innenhaus Mousonturm, eines der bedeutendsten Zentren für Tanz, Theater und Performance in Deutschland, bringt vielfältige Erfahrungen mit, Kunst für ein junges und breites Publikum zugänglich zu machen. Perform[d]ance, spezialisiert auf zeitgenössischen Tanz und Community Dance, zeigt regelmäßig Klassenzimmerstücke in Schulen und auf Festivals, mit denen Kinder und Jugendliche für zeitgenössischen Tanz begeistert werden.
Im Interview sprechen Anna Wagner, Intendanz und Geschäftsführung Künstler*innenhaus Mousonturm, sowie Dörte Wolter und Stefan Hahn, Management bzw. Künstlerischer Leiter Perform[d]ance, über ihre Motivation, Teil von explore dance zu werden, über ihre inhaltlichen Schwerpunkte und darüber, welche Impulse sie dem Netzwerk geben – und von ihm empfangen – möchten.
Ein Gespräch über Visionen, Herausforderungen und das gemeinsame Ziel, zeitgenössischen Tanz für junges Publikum nachhaltig zu stärken.

explore dance-Redaktion | 22. Oktober 2025
Was hat euch motiviert, Teil des explore dance-Netzwerks zu werden?
Anna:
Am Mousonturm produzieren wir seit mehreren Jahren immer wieder Tanzstücke für junges Publikum und laden Stücke ein, die ein junges Publikum in den Mittelpunkt stellt. Nun Teil eines hochkarätigen bundesweiten Netzwerks zu sein, das sich diesem Bereich auf vielen Ebenen widmet, ist für uns ein großes Geschenk.
Dörte:
Seit 2018 hat Perform[d]ance sechs Klassenzimmerstücke realisiert – ein Format, das dem explore dance Pop Up sehr ähnelt. Eine Tanzproduktion besucht für drei Schulstunden eine Klasse in ihrem Klassenzimmer – in einem Dreiklang aus Workshop, Aufführung und Nachgespräch kommt der zeitgenössische Tanz so direkt in den Schulalltag. Frühzeitig haben wir Festivals und Aufführungen von explore dance besucht und standen im intensiven Austausch mit den Kolleg*innen über Erfahrungen und Formate. Mit fast allen Netzwerkpartner*innen gibt es seit einigen Jahren bereits konkrete Kooperationen, u.a. im Rahmen des Netzwerks Tanz weit draußen. Aus diesen Kooperationen entsponnen sich dann Gespräche über den Beitritt ins Netzwerk.
Was möchtet ihr mit eurer Institution ins Netzwerk einbringen – und was erwartet ihr euch davon?
Anna:
Mit dem „Zentrum Junger Tanz“, das seit der Spielzeit 2025/26 am Mousonturm beheimatet ist, bringen wir einen ganzheitlichen Ansatz im Bereich „Tanz für und mit Jungem Publikum“ ein. Wir verbinden Seherfahrungen von Tanz mit diversen Formaten, die Kinder und Jugendliche selbst zum Tanzen bringen und qualifizieren darüber hinaus auch Tanzschaffende und Erzieher*innen im Bereich Tanz. Dabei setzen wir auf drei Bausteine: selbst tanzen, Tanz anschauen, Tanz vermitteln.
Zunächst freuen wir uns natürlich auf viele aufregende Tanzproduktionen, die im Rahmen von explore dance entstehen werden. Zudem erhoffen wir, dass wir als Teil von explore dance mehr Aufmerksamkeit und Sichtbarkeit auf diesen wichtigen künstlerischen Bereich lenken können und auch Tanzschaffende, Kulturpolitiker*innen und andere Multiplikator*innen begeistern und inspirieren. Wir werden sicherlich sehr von den Erfahrungen und Expertisen der explore dance Partner*innen profitieren und hoffen, auch dieses Wissen in unserem Umfeld mit anderen Akteur*innen zu teilen.
Dörte:
Anders als die anderen Partner sind wir in einer Stadt mit knapp 60.000 Einwohner*innen in einem dünn besiedelten Landkreis ansässig. Seit 20 Jahren machen wir ähnlich wie die Kolleg*innen aus München Tanz in Schulen-Projekte und kennen viele Schulen. In den letzten sieben Jahren haben sich die Kontakte langsam aber stetig in das ganze Bundesland ausgeweitet, auch wenn es noch weiße Flecken gibt.
Stefan:
Wir bringen Tournee-Erfahrung mit sowohl im Bundesland, aber auch international. Vier unserer bisherigen Produktionen haben wir auch für die Bühne adaptiert. Wir haben eine Spielstätte für 130 Zuschauer*innen in Stralsund, in der man ganz wunderbar Tanz für junges Publikum zeigen, aber natürlich auch produzieren kann. Im Netzwerk wollen wir diese Möglichkeiten gemeinsam und damit auch nachhaltiger nutzen.
Was kann aus eurer Sicht speziell die Kunstform Tanz für junges Publikum leisten?
Stefan:
Ganz vieles und nicht nur für ein junges Publikum. Die Vielschichtigkeit begeistert uns. Wir wollen gerne Tanzstücke produzieren, die uns als Erwachsene ebenso begeistern wie die Kinder und Jugendlichen. Gerne verzichten wir in den Produktionen auch auf Sprache, denn der Tanz erzählt oft so viel mehr (als) Geschichten.
Anna:
Tanz hat ein besonderes Potenzial – er spricht, jenseits des verbalsprachlichen Ausdrucks, gleichzeitig Sinne, Motorik und Kognition an. Fähigkeiten, die wir leider mit zunehmendem Alter verlieren, die es aber früh zu aktivieren und zu erhalten gilt. In seinen vielfältigen Ausdrucksformen stellt Tanz so Erfahrungsräume bereit, um die spannungsreichen, widersprüchlichen Dynamiken unserer Gegenwart nicht nur auszuhalten, sondern zu erforschen und im kreativen Sinn selbst zu gestalten. Tanz stiftet Beziehungen und Begegnungen, in dem er sich im Wechselspiel zwischen Selbstwahrnehmung und der Beobachtung anderer, zwischen dem Selbertanzen und der Rezeption von Tanz entfaltet.

Nora Elberfeld: 1004 Zentimeter Mut, Foto: Jonas Albrecht
Gibt es Themen, Formate oder Vermittlungsstrategien, die ihr als neue Partner mit explore dance besonders vorantreiben wollt?
Stefan:
Unser zentrales Anliegen ist es, weiterhin in ländlichen Räumen jungen Menschen Zugänge zu Tanzstücken zu eröffnen und an diese Orte mit immer neuen Produktionen zurückzukehren. In unserer Spielstätte wollen wir erstmalig Vorstellungen mit Audiodeskription ausprobieren. Darauf sind wir schon sehr gespannt.
Anna:
Es gibt natürlich viele Themen, die wir vorantreiben möchten. Ein besonderes Anliegen für uns ist, auch sehr junges Publikum noch stärker in den Blick zu nehmen. Außerdem möchten wir stärker Fragen von Barrierefreiheit und Access fokussieren, d.h. die Teilhabe von Menschen mit Behinderung, als Zuschauende, Mitmachende und künstlerisch Produzierende.

Stefan Hahn: Augenhöhe – Klassenzimmerstück Tanz, Foto: Peter van Heesen
Welche ganz konkreten Pläne habt ihr für eure erste Spielzeit im Netzwerk?
Anna:
Wir werden drei Gastspiele aus dem explore dance-Portfolio einladen. Außerdem planen wir auch eine Neuproduktion zu entwickeln, die wir dann in der Region und hoffentlich auch bei den explore dance-Partner*innen präsentieren werden.
Wir freuen uns außerdem sehr, dass wir unser Stück Ein Raum ohne Wände, das wir im Jahr 2024 produziert haben, im explore dance Netzwerk zeigen können.

LIGNA: Ein Raum ohne Wände, Foto: Julius Schmitt
Dörte:
Im Januar kommt die Produktion Schwanensee in Sneakers von Anna Till in die Alte Eisengießerei, unsere Spielstätte in Stralsund. Wir verbinden die Aufführung mit Kurzstücken von Jugendlichen und einem Tanzfilm, der gerade mit der Jugendkompanie entsteht. Weitere Gastspiele anderer Produktionen folgen hoffentlich noch diese Spielzeit. Laura Gary, die gerade in Potsdam ein Stück entwickelt, unterrichtet auch an zwei Tagen in der Woche bei uns. Über das Netzwerk haben wir damit bereits unser Team erweitern können.
Und natürlich soll es auch eine Neuproduktion geben. Gerne für die Jahrgangsstufen 5/6. Wir haben von Lehrer*innen immer wieder Nachfragen insbesondere für diese Altersgruppe bekommen. Natürlich freuen wir uns auf den Austausch mit den Kolleg*innen und hoffen, unsere Strukturen stärken zu können, doch dafür ist eine weitere Bundesförderung unabdingbar.

Anna Till und Nora Otte: Schwanensee in Sneakers, Foto: Stephan Floss

Johanna Ackva und Laura Gary: Ritournelles, Foto: fabrik Potsdam
Gibt es eine Inspiration aus eurer bisherigen Arbeit mit jungem Publikum, die ihr teilen möchtet?
Stefan:
Es ist nicht immer einfach das Stralsunder Publikum für ein neues Stück zu begeistern. Daher haben wir ein Format entwickelt, in dem wir eine Produktion für junges Publikum von professionellen Choreograph*innen mit Kurzstücken verschiedener Perform[d]ance-Laientanzgruppen verbinden. Das Format heißt „Choreos kurios“ und will neugierig machen auf verschiedene choreografische Handschriften. Die Begegnung von Profis und Jugendlichen ist herzerwärmend – denn manche von ihnen überlegen Tanz zu studieren und befragen dann die Profitänzer*innen zu ihrem Alltag und welche Uni oder Ausbildung sie empfehlen würden. Und auch das Publikum ist begeistert von dieser Kombination.
Dörte:
Im vergangenen Mai waren ZINADA mit dem explore dance Pop Up WUW – Wind und Wand zu Gast und auch danach erreichten uns noch viele persönliche Nachrichten – sowohl von ZINADA, die begeistert waren über die kreativen Ideen der tanzenden Jugendlichen, als auch von den Jugendlichen, die es als sehr wertschätzend empfanden, vor den Profitänzer*innen auftreten zu dürfen, und zwar nicht als Vor-Band, sondern im Rahmen eines wirklich geteilten Abends.

ZINADA: WUW – Wind und Wand, Foto: Christina Gerg
Anna:
In unseren Projekten wie zum Beispiel mit dem Stück Ein Raum ohne Wände oder Tanz in Schulen-Projekten, die wir zusammen mit Kindern und Jugendlichen gestalten, erleben wir oft, dass sich viele von ihnen ihren eigenen Ängsten stellen, in dem sie sich der Bewegung und dem Tanz öffnen. Dieser Mut gibt uns Kraft und zeigt, dass es lohnt, sich für den Tanz für junges Publikum stark zu machen und Strukturen und Sichtbarkeit zu schaffen. Hoffentlich erhalten wir als nun in sechs Bundesländern agierendes Netzwerk erneut eine substantielle Förderung durch den Bund. So könnten wir dann wirklich gemeinsam durchstarten und Enormes bewegen.















