Foto: Elise Schneider

„Ein Raum für Trauer – und ihr Überwinden.“

Interview mit Lee Méir, André Lewski und Lidy Mouw zu ihrer Produktion „von hier nach dort“

Interview geführt von Elisabeth Nehring | 1. November 2021

Journalist Elisabeth Nehring interviews Lee Méir, André Lewski and Lidy Mouw about their piece “von hier nach dort”. An exchange about the origin of the piece, about rituals, farewells and about transformations.


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Elisabeth Nehring: Hallo an alle Hörerinnen und Hörer, mein Name ist Elisabeth Nehring, ich bin Journalistin und im Rahmen des explore dance Journals führe ich heute ein Interview mit Künstlerinnen und Künstlern, die im Rahmen dieses Projektes gearbeitet haben. Ich sitze hier zusammen in einem Studio in Berlin mit Lee Méir, Choreografin, Tänzerin und Performerin. Mit Andre Lewski, Regisseur, Schauspieler und Performer und zugeschaltet, ist Lidy Mouw, Künstlerin und Dramaturgin. Und sie sitzt im Studio in Uppsala, ist gerade also nicht bei uns. Schön, dass ihr da seid. Wir reden heute über eure Produktion „von hier nach dort“; eine Produktion, die sich mit dem Thema Abschied beschäftigt. Ihr habt das so beschrieben: sie beschäftigt sich damit, was es bedeutet, sich zu verabschieden von Personen oder eben den vielen großen und kleinen Dingen, aus denen man herauswächst und zusammen mit den Kindern habt ihr eine Abschiedstour kreiert, um, wie ihr schreibt, das Wunder des Lebens zu feiern. Wieso habt ihr das Thema Abschied für eine Produktion mit Kindern gewählt?


Lee Méir: Also als der Vorschlag von der fabrik Potsdam angekommen ist eine Produktion für Kinder zu machen, habe ich mich gefragt, was für ein Thema wäre wichtig oder wäre interessant für Kinder und kurz vor dieser Zeit so ein Jahr davor ist meine Mutter gestorben und als sie gestorben ist in dieser Zeit habe ich bemerkt, das wir uns nicht so viel mit dem Tod beschäftigen, auch wenn der Tod trifft uns alle, wir reden nicht so viel darüber und irgendwie haben wir nicht die richtige Werkzeuge, um den Tod zu treffen. Irgendwie, ich dachte ok, ich bin Erwachsene und wir sind ich und meine Schwester und Familie und wir sind keine Kinder, aber immer noch bei diesem Treffen mit dem Tod sind wir alle Kinder, weil wir verstehen es nicht, wir können es nicht verstehen, aber es wird uns alle treffen und deswegen ja kam diese Idee.


André Lewski: Ja, und wir haben in dem Moment auch gemerkt, dass es eine Notwendigkeit gibt, sich eigene Rituale zu erschaffen und sich auseinanderzusetzen mit diesem Thema. Und mit diesem Abschied. Weil das, was da praktisch von religiöser oder nicht religiöser Seite angeboten wurde, an offiziellem Ritual uns nicht gereicht hat um mit dieser Sache umzugehen und so ist es ja auch für Kinder, also, wenn man jetzt zum Beispiel die klassische deutsche Beerdigung sich anschaut, zumindest in der Gegend, wo ich herkomme, sind Kinder gar nicht zugelassen zu den Beerdigungen die bleiben dann meistens zu Hause.


EN: Wo kommst du her, André?


AL: Aus der ländlichen Gegend in Norddeutschland. Die Kinder sind dann meistens zu Hause und werden irgendwie bespielt, aber haben dann nicht tatsächlich eine Chance, sich zu verabschieden von Großeltern. Und wir haben dahingehend auch Gespräche geführt in München mit einer Psychologin, die sich mit dem Thema Abschied und Tod und Kinder und Kommunikation beschäftigt und wurden dann nochmal bestätigt, wie wichtig es ist, dass man auch gerade Kindern, wie Lee sagt, Werkzeuge an die Hand gibt, um sich von kleinen und großen Dingen zu verabschieden im Alltäglichen wie auch in besonderen Situationen im Leben.


Lidy Mouw: Dieser Abschied, der sich jetzt mit dem Tod verbindet, ist natürlich eine Sache, aber es ist ja auch viel profaner eigentlich, dieses Abschied nehmen und das wirklich Abschließen von Sachen ne, also in unserer Gesellschaft geht ja immer darum, Sachen offen zu halten, sagt man, noch eine Möglichkeit zu schaffen und so aber auch wirklich etwas abzuschließen. Ne, also das ist, das fehlt oft in unsere Gesellschaft und um das Mal zu lernen oder Möglichkeiten zu finden, das besser für sich zu tun, also ob man jetzt Kind ist oder nicht. Ich glaube das ist eine Sache, die ganz wichtig ist in unserem Leben und, gut, es verhält sich natürlich mit dem Tod und das Abschied nehmen im Sinne von einem Teil des Lebens oder eine Phase des Lebens ist abgeschlossen und eröffnet auch wieder quasi eine neue Möglichkeit. Um sich mit dem gleichen Thema auszusöhnen oder auszukennen, vielleicht sogar, und das ist etwas, was sehr, was wirklich komplett außen vor ist in unserer Gesellschaft. Es geht immer darum, Sachen weiter zu machen und weiter zu machen, aber nie zu Ende zu kommen.


EN: Ich möchte nochmal daran anknüpfen, André was du gesagt hast mit den Ritualen, da ist mir gerade der Gedanke gekommen: ihr kommt ja nun auch aus ganz unterschiedlichen Ländern und Kulturen. Habt ihr eure eigenen Herkünfte und den Umgang mit Tod oder Abschied auch thematisiert als ihr das Konzept entwickelt habt? Weil ich kann mir vorstellen, Lee, in Israel ist es schon ein ganz anderer Umgang.


Lee: Es ist ein anderer Umgang, aber zum Beispiel meine Familie ist nicht religiös, und wir haben sehr schnell bemerkt, dass als, wie sagt man, Secular, sucht man irgendwie nach einer Ritual, weil man muss diese Zeit so lassen irgendwie jetzt und wir haben als Familie versucht unsere eigene Ritualen zu entwickeln, die mit der Religion nichts zu tun haben, aber dass die für uns auch eine spirituelle Ebene haben, und es gibt einen Brauch bei der jüdische Religion, was ich schön finde ist dass wenn jemand stirbt hat man sieben Tage, wo man zu Hause bleibt und so Freunde, Familie, alle Leute, die die Situation respektieren möchten, dann kommen sie vorbei und sie bringen Essen und das finde ich ganz schön, weil es ist so eine Woche lang. Und dass die Leute die trauern, die machen so nichts.


AL: Sie kommen mit Essen und man tröstet sich gegenseitig und der Schmerz wird so ein bisschen aufgeteilt und immer, wenn einer nicht mehr kann, nicht mehr trösten kann, übernimmt jemand anders. Dann gibt es auch durch die Erschöpfung, durch die sieben Tage, Zeiten wo dann Humor irgendwie aufkommen kann und sich das ganze lockert und man durchlebt ganz, ganz viel in dieser Zeit und genau die Rituale, die wir dann so ein bisschen gemacht haben in diesen sieben Tagen war dann auch, dass gebastelt wurde und man sich, während man sich mit den Händen tätig beschäftigte, dann in den Gesprächen, den Abschied reflektiert hat, was dann auch Teil oder Einflussnahme in das Ritual, was wir mit den Kindern entwickelt haben, letztendlich.


EN: Das heißt das Ritual, was ihr entwickelt habt, war schon ein bisschen inspiriert von Bräuchen in Israel?


Lee: Meine Mutter war auch, sie hat immer mit uns viel gebastelt, als wir Kinder waren. Ich und meine Schwester und deswegen für uns war es ganz natürlich mit dem Basteln so von ihr uns zu verabschieden.


EN: Bevor wir dazu kommen, wie eure Produktion ausgesehen hat, wie ihr das Konzept erstellt hat, was dazu gehört hat, würde ich gerne nochmal von euch wissen: ihr habt ja sehr eng im Team gearbeitet und mich würde sehr interessieren, wie die Zusammenarbeit abgelaufen ist und welche Aufgaben ihr jeweils hattet.


Lidy: Wir haben zu fünft angefangen, als ein Team, und wir haben im Prinzip jeweils eine Übung für die ganze Gruppe gemacht wie mit dem Thema umzugehen, so haben wir ganz viele unterschiedliche Annäherungen an dem Thema erfahren und dann hat sich quasi eine bestimmte Form also schon rausgestellt, die uns allen gefallen hat und wo drin eigentlich jeder nach seiner Neigung und auch seinem Interesse ein Paar drin gefunden hat, was er tut. Es war klar das ist sehr partizipatorisch wird. Und das hat sich dann auch ja ganz ganz natürlich eigentlich ergeben, wer jetzt was macht. Wir haben das dann öfters mal umgearbeitet, weil durch Corona natürlich immer wieder neue Situationen aufkamen und wir unsere Performance daran angepasst haben. Unter anderem dadurch, dass wir das dann jetzt zu dritt machen ist eine Folge davon. Aber das hat sich eigentlich eine Aufgabe definitiv in dem Sinne hatten wir vorher nicht festgesetzt. Das hat sich ergeben aus der aus dem Prozess.

EN: Und könnt ihr das trotzdem noch mal so ein bisschen konkretisieren? Also wie stelle ich mir das vor?


Lidy: Vielleicht ist es sogar interessant zu sagen, dass unsere Rollen fast austauschbar füreinander sind und wir haben auch nach einem Format gesucht, das tatsächlich auch anwendungsfreundlich ist für alle Menschen. Also sogar das, dass das, was wir jetzt entwickelt haben, was ihn wirklich an performatorischen Akt letztendlich ist - ein Ritual als performatorischer Akt - das aber eigentlich von vielen Leuten gemacht werden kann, also das Priestertum in dem Ritual ist quasi sehr low Profile und sehr leicht machbar für eine jeden Menschen, und das finde ich eigentlich auch ganz toll daran.


EN: Könnt ihr uns das Format von „von hier nach dort“ mal beschreiben? Also wir haben jetzt schon gehört „Ritual“, „partizipativ“ - vielleicht könnt ihr mal uns so eine Imaginationen davon geben, eine Beschreibung wie das Ganze ausgesehen hat.


Lee: Ja, ich wollte nur auch dazusagen, zum wie wir zusammengearbeitet haben, ist dass viel so eine große Menge von dieser Arbeit war „denken und reden Arbeit“, wo wir einfach - wir mussten uns vorstellen, was passiert, wenn wir jetzt 30-40 Kinder haben, und wieviel müssen wir strukturieren und wieviel Freiraum lassen wir so? Wir hatten einfach viele Gespräche. Es gab bestimmte Dinge, die so meine Aufgabe waren oder von André und Lidy, so ich zum Beispiel habe die Kostüme, das war mein Bereich und André und Lidy haben die Moderation ganz klar so geschrieben.


EN: Beschreibt das uns gerne noch einmal, was passiert ist, und dann können wir uns das vielleicht auch so vorstellen mit diesen unterschiedlichen Rollen, die auch so austauschbar waren.


AL: Vielleicht vorneweg nochmal, dass wir in unserer ersten Residenz in Potsdam sehr früh Kontakt hatten zu Kindern. Ich glaube, das war schon in der ersten Woche, am zweiten, dritten Tag, wo wir dann praktisch mit einem groben Skizze was vorbereitet haben und dann schon Kinder drin hatten, die dann ein Ritual mit uns gemacht haben. Und es gab so ein Verhältnis von Praxis und Theorie also oder Theorie und Praxis und wir haben praktisch die Struktur des Stückes angepasst, an die Erfahrungen, die wir mit den Kindern gehabt haben. Ein großer Punkt war dann auch, wie auf welchem Level der Partizipation soll das Ganze funktionieren? Also es ist wirklich noch begegnen auf Augenhöhe mit den Kindern, oder es ist eine Pseudopartizipation, wo man eigentlich die ganze Zeit die Kinder führt und bestimmt, was zu tun ist, und uns war ziemlich schnell klar, oder von Anfang an eigentlich klar, dass wir nahezu ein Verhältnis auf Augenhöhe, so weit es geht anstreben, um auch dem Thema gerecht zu werden und diesem, wie Lee Eingang so schön sagte, dass man selbst auch Kind ist in Begegnung mit dem Abschied; mit dem Tod. Und dass das Schöne, Vereinende ist, wenn man eine Situation schafft, wo man sich sowohl von unserer Seite als auch derjenigen, die teilnehmen an dem Ritual von außen kommend, sich öffnet und einlässt auf diese anderthalb Stunden Begegnungen mit Abschied nehmen und und Sterben.


EN: Also der Research- und Probenprozess fand immer wieder im Austausch mit Kindern statt?


Lee: Am Anfang mehr, aber später weniger wegen Corona. Ja, aber genau diese Mischung von Theorie und Praxis war immer so eine ganz wichtige, und ich finde das immer wichtig bei partizipativen Performances. Und zur Beschreibung des Stückes: wir fangen an immer so draußen; das Stück fängt draußen an und da haben wir eine kleine Einführung, wo wir das Thema präsentieren. Wir machen schon einen engen Kontakt mit den Kindern, sodass es ist klar wird, dass wenn wir in dem Raum rein kommen, wir machen was zusammen. Es gibt keine Zuschauer, Publikum und Performer; die Performance ist, was wir zusammen machen. Und dann draußen haben wir noch ein kleines Ritual, wo wir den Alltag draußen lassen und wir versuchen, unsere Gedanken zum Alltag draußen zu lassen, so dass wir reinkommen in eine anderen Ebene.


EN: Was ist das für ein Ritual gewesen?


Lee: Ja, man wäscht seine Hände und dann haben wir so ein Tuch und wir Knoten dieses Tuch zu einer Schnur und so stehen wir dann in einer ganz großen Reihe und jeder knotet seine letzten alltäglichen Gedanke an diese Schnur.


EN: Und dann drinnen im Innenraum?


AL: Drinnen im Innenraum - um es fortzuführen - ist dann ganz viel Material, was dort schon liegt. Das ist eine ganze Landschaft, eine Abschieds Landschaft. Da liegen dann Naturmaterialien, Kostüme, Musikinstrumente, selbstgebaute Musikinstrumente. Wichtig vielleicht auch dabei noch zu erwähnen, dass wir im Sinne von Lebenskreislauf nur mit recycelten Materialien gearbeitet haben. Wir sind hier in Berlin zur Recycling Börse und haben dort geschaut was gibt es an Materialien, wie können wir verwenden für unsere Stücke? Das heißt auch, was dann praktisch am Abend oder wenn der Vorstellung verbaut wird, wird dann wieder recycelt für die nächste Vorstellung und Teile der Sachen, die entstehen, werden dann auch immer den Platz haben, in der nächsten Vorstellungen und Performance. So dass die Performance an sich immer mit wächst und auch die Spuren der letzten Performances präsent bleiben, in der nächsten dann jeweils. Es gibt diese Abschieds Landschaft, und dann kommen wir alle diese Schnur haltend, zusammen mit den Kindern und den Erwachsenen die dabei sind - es ist ein Stück nicht nur für Kinder, sondern sagen wir von 8 – 99, ein Familienstück - in diesen Raum rein und bewegen uns durch diese Abschiedslandschaft und bilden dann erstmal einen Kreis. Und dann ist jeder zufällig an einem Ort angekommen, an dem ein Kostüm liegt, und das ist dann praktisch die Arbeitskleidung zum Abschied nehmen. Dann findet eine erste Transformation statt. Man zieht diese bunten Kostüme an, die später noch weiter verändert werden im Prozess des Stückes und dann wird die Schnur wieder aufgenommen. Und dann kommt man eigentlich zur ersten gemeinsamen Aktivität, die sich dann auch physisch nochmal mit dem Abschied nehmen auseinandersetzt, vielleicht kann Lidy die weiter beschreiben.


Lidy: Mhm okay, also vielleicht noch mal zu diesem Raum, in dem man reinkommt. André du hast gesagt Landschaft, ich würde das eher als eine Installation beschreiben. Blso eine Art bodeninstallation, wo ganz konzentrische Kreise mit unterschiedliche Materialien liegen. Die sind wirklich angeordnet auch als Kreise und wir arbeiten uns quasi immer weiter nach außen hin und alles, was von diesen Materialien benutzt wird, kommt nachher in die Mitte, das heißt, nachher ist der Raum komplett leer und alles was da drin ist, hat sich aber transformiert. Also diese Idee von Transformationen haben wir gemerkt, ist uns ganz wichtig und ok nach dieser ersten Phase der Transformation mit der Arbeitskleidung geht es dann darum ein Netz an Geschichten von Abschied zu weben, also in die Erinnerung eines jeden Einzelnen zu gehen und jeder einzelne erzählt auch seine Erfahrung, eine Geschichte, die er erlebt hat. Oder auch mehrere, wenn es ums Abschied nehmen geht.


EN: Das heißt, ihr habt die Kinder befragt nach euren und nach ihren Erfahrungen, die teilen das mit allen anderen?


Lee: Die Idee ist, dass alle Erwachsene, auch die Lehrer und wir - wir teilen auch unsere Erfahrungen. Das ist diese Augenebene mit den Kindern.


EN: Wie viele Leute waren bei der Performance in der Regel dabei?


Lee: 30 ungefähr.


Lidy: Es ist ja eigentlich immer so eine Bewegung vom Einzelnen in die Gruppe hinein, also es wird tatsächlich an die Biographien eines jeden einzelnen geknüpft. Da so unsere Geschichten ja auf diese Art miteinander verwoben werden, weil sie aneinander anknüpfen. Das tun wir auch tatsächlich. Es gibt also eine Menge Fäden. Wir bauen im Prinzip ein Netz aus Geschichten, die vom Abschiednehmen handeln und das muss man sich wirklich ganz konkret wie ein Netz vorstellen. Es liegen dort dann an die hundert Fäden, die aneinander geknüpft werden wollen, aber jede einzelne dieser Fäden ist eine Geschichte, und die will erzählt werden. Und deswegen auch zum Schluss auch die kleinsten Stückchen Faden werden auch noch „verzählt“ sozusagen, oder? Ich weiß nicht, wie man das sagen kann, also auch darin steckt eine Geschichte und das Interessante ist, dass die Kinder das sehr ernst nehmen. Für die ist das überhaupt kein Problem, dass die abstrahieren, dass in jedem von diesen Fäden eine Geschichte steckt. Auch die Idee, mit den Gedanken, also um so eine Art von Ordnung zu halten, gehen sie super gerne wieder zurück zu ihren eigenen Gedanken. Dass sie denken „Oh nee, das ist aber meine Gedanken hier“. Also diese Knoten an diesem Seil. Was wir gemerkt haben ist, dass das für Kinder sehr schön ist auf diese Art auch während des Erzählens etwas zu tun haben. Es ist etwas anderes, wenn man etwas proklamieren muss und die Worte genau passen müssen oder ob man einfach auch bei dem Gedanken innehalten kann. Und dann wartet man halt. Das Schöne ist, dass es eine Performance mit einer ganz besondere Geschwindigkeit ist, nämlich eine ja meditative, das ist, das ist der Part, der dann so gemacht wird und dann wird dieses Netz durch, ja, Poller, würde ich was sagen, dreidimensional. Dann kommt nämlich diese Idee der Landschaft ins Leben, wo dieses Netz, was ja flach war, plötzlich lebendig wird, in dem es hoch oder tief ist. Also diese ganzen Geschichten werden in einer Art von Landschaft hineingebracht durch 3 Poller im Prinzip. Und dadurch hat man jetzt so eine Art von Netz, und dann springen wir von der Vergangenheit, die ja in allen diesen Geschichten steckt, in die Zukunft. André das kannst du vielleicht erzählen?


AL: Ja, dann ist die Frage, was man selbst vermissen würde am Leben, wenn man nicht mal Anteil nehmen könnte. Und das Verbalisieren wir jetzt nicht direkt, sondern wir haben im nächsten Kreis aus Materialien, der nach der Arbeitskleidung ist, Papier und Buntstifte. Und dann kann man diese Gedanken, also was man vermissen würde, entweder aufschreiben oder aufmalen und dann in diese bereits entstandene kleine Erinnerungslandschaft einfügen. Das heißt, diese Poller oder diese Totenpfäle, wie Lidy sagt, haben Löcher, sind perforiert und da kann man dann die geheimen Gedanken, die man nicht teilen möchte, aufrollen und reinschieben. Das ist dann wie so Äste, die aus einem aus einem Baum rauskommen und die Sachen, die man teilen möchte, was man vermisst, das kann man dann offen ins Netz knoten, so dass andere Leute das auch lesen können.


Lidy: Danach geht es weiter, dass wir uns das anschauen und dann geht es darum, nochmal einen Abschied, den man vielleicht nicht richtig vollzogen hat oder den man vielleicht nochmal machen möchte, das eben zu machen, indem man eine Art von Repräsentant für das, wovon man sich verabschieden möchte oder nochmals verabschieden möchte, zu basteln. Und das machen wir im Prinzip mit toten Materialien aus der Natur. Also Äste, alles mögliche, was quasi vertrocknet ist, und daraus basteln wir dann gemeinsam, jeder Einzelne für sich, natürlich auch miteinander sitzend, dann manchmal auch so in kleinere Grüppchen und Basteln quasi einen Stellvertreter für das, von dem man sich nochmal verabschieden möchte. Und auch das dauert wieder eine halbe Stunde. Das ist eine langsame Geschichte, aber die, die braucht auch diese Zeit und die Kinder finden das sehr schön, das zu machen, weil es geht ja um Phantasie, natürlich aber auch um Zeit zu haben, weil genau das ist ja das was das Problematische ist und wir haben sogar dann oft noch nicht genug Zeit. Also viele Kinder sind dann noch dabei und viele Kinder oder auch Erwachsenen, wenn sie fertig sind mit ihrem was auch immer sie gemacht haben, gucken sich das an und sinnieren darüber und gucken auch den anderen zu. Es ist etwas sehr beruhigendes, andere Menschen so vertieft in ihre Sachen zu sehen; in den Sachen, die sie machen zu sehen. Ja, das bringt eine ganz bestimmte Stimmung.


AL: Und ich würde noch ergänzen, dass im Gesamtablauf der Performance bis dahin, diese Zeit, die jetzt verbracht wird, aus meinen Beobachtungen in den letzten Performances auch dazu dient, sich nochmal tiefer mit dem Thema zu beschäftigen. Das heißt, da kommen dann auch erste Tränen gerade bei Erwachsenen, die dann ganz gerührt sind. Und natürlich der Bedarf gleichermaßen auch sofort darüber zu sprechen und sich auszutauschen und sich gegenseitig zu trösten und diese halbe Stunde des Bastelns ist dann auch in der Funktion, dass sich überall kleine Grüppchen bilden, die nebeneinander an diesen Repräsentanten basteln und sich trösten und ihre Geschichten von Abschied teilen.


EN: Erstmal klingt das für mich nach einem starken Gemeinschaftserlebnis, dass eine Gruppe, die sich jetzt vielleicht nicht unbedingt so kennen, weil vielleicht kennen nicht alle Kinder, die Eltern der anderen zum Beispiel oder so, dass auf einmal so eine Gemeinschaft entsteht in der Beschäftigung mit diesem Thema und natürlich kommt mir sofort die Frage in den Sinn, welche sensitiven und problematischen Punkte wurden da vielleicht auch berührt bei den Teilnehmer*innen, ob sie jetzt 8 sind oder 40?


Lee: Bis jetzt haben wir nur mit Schulklassen gearbeitet. Die Kinder haben immer einander gekannt. Ja, es gab schon ein paar Male, wo Kinder traurig wurden, und ich fand es sehr, sehr schön, wie sie einander so unterstützen. Es gab zum Beispiel einen Jungen, der so richtig geweint hat, weil er seinen Opa so vermisst hat. Aber was schön war, er war einfach dabei und seine Freunde waren bei ihm und haben ihn unterstützt, aber sie haben alle alles so weitergemacht, das hat keine Angst gemacht, dass jemand so weint. Was mich total interessiert hat ist, was das für eine soziale oder gemeinsame Erfahrung ist, weil es ist auch so, die Regeln der Gesellschaft, so „Jetzt haben wir Zeit, traurig zu sein, aber dann müssen wir was anderes machen“, weil es gibt immer eine begrenzte Zeit. Und weil das Stück ganz strukturiert ist, so, jetzt machen wir das, bauen diese Landschaft zusammen, dann teilen wir unsere Geschichte, dann machen wir diese kleine Figuren dann basteln wir die Kostüme und so weiter; es gibt ganz klare Teile, die alle immer wieder zusammenbringen. Ich glaube Lidy hat gesagt, es gibt immer so eine Balance zwischen was individuell ist und was gemeinsam ist und das finde ich ganz, ganz stark bei diesem Setup.


AL: Um nochmal auf diesen Moment zurück zu kommen. Ich hab natürlich auch mit vielen Erwachsenen gesprochen, die dann dabei waren. Ob es Lehrer waren oder Sozialarbeiter, die in den jeweiligen Klassen betreuend tätig sind. Es kamen dann oft die Formulierung auf, gerade dass es um Abschiede ging, wo man wirklich nicht die Zeit hatte und das Gefühl dabei: „jetzt ist wirklich der Moment, wo ich mich von diesen Menschen verabschieden kann und das dann auch wirklich tue“. Auf der anderen Seite haben wir natürlich auch als Veranstalter dieses Rituals ein Augenmerk darauf, wie es den Leuten geht, wir gucken sozusagen rum und sehen, ob irgendwie Bedürftigkeiten entstehen, reden im Vorfeld mit Betreuern oder Lehrern, die natürlich im engeren Kontakt mit den Kindern stehen und vereinbaren, dass man gemeinsam eine Hilfestellung gibt, den Kindern, die dann übermannt werden von der Trauer manchmal.


Lidy: Was ich vielleicht noch spannend finde zu erwähnen ist, wir lavieren immer zwischen Spielen, Performance und Ritual und für mich ist das sehr spannend gewesen zu sehen „ok, weil das Spiel ist ja immer trennend, da gibt es einen Gewinner, ein Verlierer durch die Spielregeln. Ein Ritual ist ja zusammenführend; also wenn die Leute sich einander so ein bisschen kennen, aber durch das Ritual kommen sie zusammen und in der Performance gibt es das Zuschauen und das Handeln und dass sich das immer so abwechselt. Ich finde das eine ganz besondere Form, die wir gefunden haben und ich sehe das auch als hoch künstlerisch an, diese Form, die wir für so eine soziale Plastik gefunden haben.


AL: Das ist ein kleiner Vorgriff, aber wenn wir dann die Performance beendet haben und dann am abbauen sind, fühl ich mich dann wirklich emotional erschöpft, so als wäre ich auf einer Beerdigung gewesen und ich fühl mich außerdem ein bisschen wie ein Bestattungsunternehmer, der dann sozusagen die Reste wieder sauber macht, wieder einordnet. Und der Raum ist so voll von Geschichten und diesen Momenten, die man dann geteilt hat mit den Menschen. Ja, also man kann die Performance nicht öfter als einmal am Tag machen, glaube ich, weil es wirklich sehr intensiv und sehr erschöpfend ist und auch sein muss, wenn man sich öffnet und dann wirklich sich mit dem Thema auseinandersetzt und das muss man als diejenigen, die das dann öfter machen, auch jedes Mal wieder von neuem tun. Auch um die anderen einzuladen, sich zu öffnen. Man kann nicht spielen oder man kann nicht irgendwie Betroffenheit oder dabei sein imitieren; man muss sich wirklich öffnen und im Prozess zur Verfügung stellen als Performer.


EN: Das kann ich mir gut vorstellen, dass das ein ganz wesentlicher Teil ist, dass man wirklich - wir nutzen wir jetzt mal diesen Begriff - authentisch anwesend ist, wirklich offen ist und zur Teilnahme bereit, aber ich fand es auch sehr schön Lidy, was du gesagt hast mit diesem, dass das auch stark strukturiert ist. Das es einen Raum gibt für die Trauer, aber vielleicht auch für die Überwindung oder das weitergehen, das ist ja auch das Wesentliche am Ritual, das eingefasst ist in einen Rahmen, der uns nicht, wenn wir daran teilnehmen, einfach so vollkommen überborden lässt. Dass die Gefühle irgendwie keinen Halt finden, sondern Gefühle, die kommen, finden ja dadurch irgendwo auch eine Begrenzung vielleicht, einen Halt; transformieren sich auch weiter und das habe ich so verstanden, dass das ein wesentlicher Teil für Euch war, eine Transformation zu erreichen. Es gibt ja bestimmte Theorien auch zu Ritualen, wie ein gutes Ritual, Abschiedsritual zum Beispiel, abzulaufen hat, damit eine Art Transformation erreicht wird. Habt ihr euch damit beschäftigt oder habt ihr das so mehr Try and error mäßig einfach auch probiert?


Lee: Für mich persönlich war es sehr wichtig, dass es eine Erfahrung wird und nicht eine so „Educational Sache“. In diesem Sinne ist es wirklich ein Ritual und dass wir auch, so wie André gesagt hat, nach diesem Ritual erschöpft sind. Wir müssen das immer neu erfahren. Und zu diesem Begriff „Transformation“: ich finde in der westlichen Gesellschaft, wenn wir über Tode reden oder denken, denken wir immer an ein Ende und deswegen haben wir auch so viel Angst vor dem Tod finde ich. Aber in vielen anderen Kulturen und wenn man in die spirituelle oder religiöse Praxis guckt, ist dieser Begriff von Transformation sehr, sehr präsent und ich habe bemerkt, auch bei der Erfahrung beim Tod meiner Mutter und auch so, als sie starb, so diese Woche davor, als es schon klarwar , dass sie sterben wird, hat es mir die Idee sehr geholfen, dass es eine Transformation ist und dass sie immer ein Teil von meinem Leben sein wird. Aber so, wie ich sie kenne, wird sie nicht mehr da sein und was noch irgendwie so mir geholfen hat und auch in diesem Stück reingekommen ist, dass ich gedacht habe „OK, ich habe noch nie jemand mir so Nahen verloren, aber ich habe viel Erfahrung mit Abschied, weil ich mich schon von vielen Dinge verabschieden musste.“ Und deswegen haben wir diese Idee von kleinen Abschieden und großen Abschieden im Stück. Und das fragen wir auch die Kinder am Anfang: „Was ist ein großer Abschied, was ist ein kleiner Abschied?“ Weil für manche von den Kindern ist wenn ein Freund zu einer andere Schule geht, ein sehr großer Abschied und ich finde es auch wichtig, dass wir Raum geben für diese kleinen Abschiede.


Lidy: Ja, also du hast gefragt, wo wir als Künstler*innen unsere Informationen her geholt haben. Also bei mir waren es tatsächlich auch persönliche Erfahrungen, wie wir in meiner Familie, in meiner Umgebung mit Abschied umgegangen sind, aber wir haben uns auch mit dem Projekt „Unacknowledged Loss“ beschäftigt, das ja im HAU – Hebbel am Ufer stattgefunden hatte, ein paar Jahre zuvor. Das war eine ganze Geschichte über das Verlieren von Sachen. Und ich hab davon einige Performances auch miterlebt und fand das als Projekt sehr spannend. Da hab ich auch einige Sachen erfahren, wo ich gedacht hab „Ja, das ist wirklich gut gelöst oder eine gute Idee“. Aber das auch verbunden mit einigem Gelesenen über das Ritual und aber auch die Verbindung. Also es gibt ein interessantes Buch, „Performanz“ heißt das, da geht es eigentlich um Sprachphilosophie aber auch kulturwissenschaftliche Ideen zu Performance oder Performanz und da ist ein ganz großer Teil, wo es um Rituale geht und welche Elemente da drin vorkommen. Und dann hat André noch dieses Buch über „Levels of Participation“ mitgebracht, also das waren so für mich als Künstlerin auch die Sachen womit der ich mich einbringen konnte, diese viele unterschiedliche Informationen.


EN: Wie ist euer Ritual geendet, André?


AL: Ja, nachdem wir dann diese Repräsentanten gebaut haben und, jeder für sich, aber gemeinsam mit allen anderen, im Kreis steht, ist der Moment des Abschieds gekommen. Wo man dann einzeln in den Kreis tritt - zu dieser Landschaft, die schon in der Mitte steht, im Zentrum dieses Kreises - und für dasjenige, von dem man sich verabschieden möchte einen Platz findet in dieser Landschaft. Das kann man dann mit Worten begleiten, wenn man möchte. Kannst das aber auch still tun. Und dann ist der Moment gekommen, wo wir uns wieder transformieren, dann wird nämlich diese Arbeitskleidung zur Festkleidung, das heißt wir haben noch so add ons, also Sachen, die man das Kostüm anhaften kann. Die klingen, wenn man sich daran bewegt. Das ist auch aus recycelten Materialien gebaut. Und dann schmücken wir uns gegenseitig und machen nochmal ein gemeinsames bewegtes Ritual, in dem wir nochmal Abschied nehmen und Atem senden in die Mitte und versuchen, all das, was dort drin ist, den Sachen zu helfen, dass sie sich wirklich verabschieden können und lösen können, das heißt wir geben Energie von allen Seiten. Und dann wird man schon merken bei der Bewegung, „oh wir machen auch gerade Geräusche“. Und daraus entwickelt sich dann ein Tanz, der sich dann um das, was in der Mitte dort gebaut liegt und verabschiedet wurde, herum bewegt. Und ja, das nimmt dann Niveaus von Ausgelassenheit an, das heißt an dem Punkt ist dann schon etwas transformiert von all dieser Trauer und dem Loslassen. In entweder eine freudige Verabschiedung oder eine freudige Bereitschaft zum Weitergehen.


EN: Als wir noch vor Corona gesprochen haben, da habe ich euch in Potsdam besucht, da gab es noch die Idee, dass ihr nach draußen geht. Am Ende glaube ich aber das habt ihr nicht gemacht.


Lee: Wegen Corona mussten wir fast jeden Monat das Stück neu denken. Wenn die Kinder den Raum verlassen geben wir jedem so ein kleines Geschenk, so eine Schnur oder eine Blume oder irgendwas, das in dem Raum Material war und dann sagen wir „danke“. Wir danken jedem Teilnehmer. Aber ja das Stück so wie es am Anfang gedacht war? Hoffentlich machen wir das irgendwann, wenn die Welt ein bisschen, ja...


EN: Lee, Du hast gerade Corona angesprochen und als du, André, gerade das mit dem Atem beschrieben hast, „Wir geben den Atem in die Mitte“, muss ich auch gleich an Corona denken und wäre eine Frage so vom Praktischen einerseits, aber vielleicht auch vom Inhaltlichen, ob diese Zeit, die wir jetzt erlebt haben, die Zeit der Corona Krise, auch nochmal mit der ganzen Idee, mit euch, mit dem Konzept was gemacht hat? Jenseits von praktischen Umstellungen oder Restriktionen?


AL: Also vielleicht muss man auch vorneweg sagen, dass wir tatsächlich mit Masken die Performance gemacht haben. Wir hatten Sorge, also dass das gerade mit Abstand und Masken - und Handschuhe wurden auch mal diskutiert - in Zusammenhang mit diesem Thema kontraproduktiv ist, weil es geht ja irgendwie um Teilen und Gemeinschaft um sich fühlen, um ein Miteinander da sein während dieser schwierigen Auseinandersetzung. Und da hatten wir gesagt, das kann gar nicht funktionieren, wenn wir jetzt Abstand halten, wenn wir uns nicht mehr berühren dürfen. Und haben dann halt Wege gefunden, über das Seil eine Verbindung zu schaffen, ohne sich jetzt direkt physisch berühren zu müssen. Und dann auch in der Limitation von anwesenden Publikum, in der Limitation von uns als Veranstalter des Rituals, das alles der Corona Situation geschuldet war. Aber ich glaube, wir haben jetzt eine Form gefunden, wo wir irgendwie trotz aller Einschränkungen wirklich schön damit umgehen können.


Lidy: Also inhaltlich, würde ich sagen, hat Corona uns nicht wirklich berührt. Also nicht, dass das jetzt ein schwierigeres Thema geworden wäre oder so. Das glaube ich nicht, weil das ja immer und überall eigentlich vorhanden ist, dieses Thema des Abschiednehmens. Und da glaube ich nicht, dass Corona jetzt inhaltlich eine bestimmte Ebene hinzugefügt hat, wirklich eher praktisch: wie machen wir das? Das war eigentlich mehr die Frage.


AL: Na ja, nur Stück-immanent, also: wie gehen wir damit um?


Lidy: Genau.


AL: Also wie können wir in dem Sinne inhaltlich, wie können wir diese Sache veranstalten, ohne dabei die ganze Zeit auf Distanz sein zu müssen oder das Gefühl zu haben, wir können uns dem Thema nicht nähern, weil wir uns physisch nicht nähern können?


EN: Eine Frage, die mich doch noch sehr interessiert ist, was die Arbeit an dieser Produktion mit euch gemacht hat, als Künstler, Künstlerin und Menschen?


Lee: Immer wenn ich ein Stück mache, frage ich mich „Was lerne ich, was ist neu jetzt? Wie kann ich was lernen, was ich nicht erwartet habe?“ Und was ich bei partizipativen Stücke, aber auch so auf einer ganz normalen Bühne, und auch manchmal so andere Formate wie „von hier nach dort“, was ich ganz spannend finde, ist die Balance zwischen „Was kann man kontrollieren?“ oder „Was kann man erwarten?“ und „Was kann man nie erwarten?“, so wie werden die Leute sich im Raum verhalten? Und mit Kinder ist es auch eine andere Geschichte, und ich finde es sehr schön, was ich gelernt habe. Es ist so, dass Kunst oder dass ein künstlerisches Event in jedem Raum, oder in jeder Situation stattfinden kann. Man braucht nicht so ein Theater, oder man braucht nicht so einen bestimmten künstlerischer Raum, um eine künstlerische Erfahrungen zu schaffen. Und das finde ich ganz wichtig für mich persönlich bei diesem Stück.


AL: Lee hat es schon erwähnt, dieser Moment von Kontrolle und Erwartungen, wie das Ganze zu funktionieren hat, weil es eben auch so bedeutend für einen selber ist. Man will es irgendwie, dass die Stimmung ganz heilig, ganz konzentriert ist und so weiter und sofort, es dann aber Momente gibt, zum Beispiel hatten wir eine Performance in einer Schule, wo der Fußboden unglaublich rutschig war und dann auf einmal lauter Kinder anfingen, irgendwie lieber auf dem Fußboden her zu rutschen, anstatt sozusagen Konzentration zu erhalten und dieses Ritual mit uns zu gestalten. Und dann tauchte aber diese eigentliche Beschäftigung an ganz anderen Punkten auf, das heißt, was von der Erfahrung der Performance, was es mich wirklich gelehrt hat, ist noch mal wirklich komplett in den Moment zu gehen und jegliche Erwartungshaltung loszulassen. Und von Moment zu Moment zu gucken wie kann ich jetzt im Kontakt mit meinem Gegenüber dieses Thema bearbeiten? Es kann auch sein, dass sozusagen dieser plötzliche Ausbruch von Bewegungsdrang vielleicht eine Ausweichbewegung vom Thema weg ist, aber selbst mit den Kindern, die dort in dem Moment ausgebrochen sind, im späteren Moment dann doch wieder auf eine andere Art und Weise dazu gekommen und haben sich dann scheinbar doch damit verbunden. Also ist ganz viel zwischen Erwartungshaltung und Tatsächlichkeit die sich da irgendwie berühren und das ist eine sehr schöne Erfahrung gewesen und als Mensch muss ich sagen, dass ich zum Beispiel eine Erfahrungen hatte, wo uns damals in einer vorherigen Beziehung ein Kind gestorben war. Was keiner gesehen hatte, weil es so früh starb, dass noch kein Kontakt dagewesen war praktisch. Und wir mit diesem Schmerz völlig alleine waren, es wurde nicht geteilt. Und das hat ihn irgendwie noch größer gemacht, weil es war so etwas Besonderes und gleichzeitig so etwas unglaublich Trauriges, das Ereignis, was passiert ist und es wurde nicht geteilt, wurde nicht aufgefangen und konnte mit keinem drüber reden. Und ja, später war ich damals auf der Beerdigung meiner Oma und hab mir dann vorgestellt, dass die Leute, die jetzt dort auf dem Friedhof versammelt sind, eigentlich für diese Kind da sind. Also ich hab praktisch diesen Vorgang, den wir dann später künstlerisch entworfen haben, damals irgendwie intuitiv im Moment innerlich vollzogen und es hat mir sehr geholfen und hat irgendwie so einen Frieden reingebracht in mich. Und jetzt auch in den Performances, die ich hatte, hab ich sozusagen dieses Kind immer mit reingetragen für mich. Und das hat mir geholfen, Abschied zu nehmen.


EN: Lidy.


Lidy: Was ich mitgenommen hab, ist wirklich dieses, wie reich man beschenkt wird, wenn man darum fragt. Also diese ganzen Geschichten, die wir da geschenkt bekommen, und welche Einblicke wir haben dürfen in die Leben anderer und wie offen und ja, großzügig sie auch sind und wie wichtig es auch ist, in solche Austausche gehen zu können, die sonst nicht so vorhanden sind in dieser Tiefe, auch in dieser Konzentration. Das ist etwas, was ich besonders und an dieser Arbeit schätze, dass wir so viel erfahren dürfen, von so viele Leute und wie offen und auch wie unkompliziert das eigentlich ist, wenn man das ein bisschen halbwegs schlau anstellt in einen tieferen Austausch zu gehen.


EN: Ich danke euch sehr für dieses Gespräch, das war sehr interessant und hat uns einen tiefen Einblick gegeben in euren Prozess. Ich habe mit Lee Méir, Lidy Mouw und André Lewski über ihre Produktion „von hier nach dort“ gesprochen, die im Rahmen des explore dance Projektes in Potsdam, Hamburg und München realisiert wurde. Vielen Dank an euch.


Lee: Danke.


Andre: Danke dir.


Lidy: Danke, gerne.