Kampnagel Archive - explore dance https://explore-dance.de/tag/kampnagel/ Tanz für junges Publikum Fri, 09 Feb 2024 15:23:35 +0000 de hourly 1 https://explore-dance.de/wp-content/uploads/2019/02/cropped-Favicon-32x32.png Kampnagel Archive - explore dance https://explore-dance.de/tag/kampnagel/ 32 32 Philosophieren mit Kindern und Körpern, mit Metermaß und Monstern https://explore-dance.de/journal/philosophieren-mit-kindern/ Sun, 28 Jan 2024 14:49:21 +0000 https://explore-dance.de/?p=12082 Nora Elberfeld: 1004 Zentimeter Mut | 28. Januar 2024 [...]

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Philosophieren mit Kindern und Körpern, mit Metermaß und Monstern

Nora Elberfeld: 1004 Zentimeter Mut

Wie entsteht eigentlich ein mobiles explore dance Pop Up? Und was heißt es, wenn wir sagen, dass Kinder und Jugendliche in alle Phasen der künstlerischen Arbeitsprozesse aktiv einbezogen werden? Die Choreographin Nora Elberfeld nimmt uns mit auf den Entstehungsprozess ihres Pop Up Stücks „1004 Zentimeter Mut“.

Über den Prozess von „1004 Zentimeter Mut“. Von Nora Elberfeld | 28. Januar 2024

Mutprobe 15: „Großes wagen.“

Wie lange ist die Freiheit?
Wie groß muss eine Held*in sein?
Wie viel Strecke ist zwischen deinem Nichts und meinem Nichts?

1004 Zentimeter Mut ist ein Stück, das in engem Austausch mit Kindern entstanden ist. Gemeinsam mit dem künstlerischen Kernteam Guy Marsan – Performance, und Judith Jaeger – Dramaturgie, sprachen, philosophierten und tanzten wir in regelmäßigen Abständen mit zwei Gruppen von Kindern – der zweiten Klasse einer Grundschule und einer Kita Gruppe von Vorschulkindern. Ihre Worte und Assoziationen waren der Ausgangspunkt für unsere Texte und verschiedene Elemente des Stückes, ihre Ängste und Wünsche vermengten sich mit unseren, wir bauten Monster, retteten uns vor kläffenden Hunden und dem Horrorclown, vor Schlingpflanzen in Badeseen und einer riesigen Wunde, aus der ganz viel Blut tropft.

Den Auftakt bildete ein erster Besuch und Workshop bei einer zweiten Klasse. Meine Kollegin Yasmin Calvert leitete dort eine Session „Philosophieren mit Kindern“ zum Thema Mut, bei der ich erst mal nur lauschen durfte.

Wieviel wiegt Mut? Nichts… ist eher so fliegend. Ist wie in die Luft springen.
Mut ist wenn man sich traut, von einem Haus zu springen. Oder sich traut in den Urwald zu gehen. Ist Kostenlos. Ich würde sagen Mut kostet schon was.

Beim Philosophieren mit Kindern (nach Kristina Calvert) entfaltet sich ein kreativer Prozess, bei dem die Kinder gemeinsam auf die Suche nach Bedeutungen gehen und ihrem Denken Ausdruck verleihen. Über Anschauungsmaterial oder Objekte (ein Kuscheltier, Bilderbuch oder Wort-Bild-Karten von abstrakt bis figurativ) fahnden sie nach eindeutigen wie auch mehrdeutigen Formulierungen und kommen ins Fühlen und Assoziieren. In der Auseinandersetzung mit Wort-Bild-Karten und das gemeinsame Sortieren geht es z.B. darum Begriffe und Motive ins Verhältnis zu setzen und zu begründen, warum man beispielsweise eine Karte neben eine andere legt. Manchmal sind diese Begründungen logisch-argumentativ, manchmal ergeben sie sich einfach über die Formen und Farben der Karten, immer wieder entstehen dadurch neue Zusammenhänge und Denkräume.

Die Worte, Assoziationen, Ideen und Bewegungen der Kinder brachten wir in den Probenraum, wo sie schließlich mit den Materialien, die uns umgaben und unseren körperlichen Bewegungen Ping Pong spielten. Wir verhandelten Größenverhältnisse und Dimensionen, probten wie groß wir oder alles um uns herum gestapelt werden können, und landeten schließlich auf Stelzen und unter sehr hohen großen und winzig kleinen Hüten (Bühne: Doris Margarete Schmidt). Ein Metermaß entfaltete sich zu einer Riesenschlange und wollte unbedingt eine Antwort auf die Frage: „Kann man Mut messen?“ Wir begegneten wilden Tieren und sahen der eigenen Angst ins Auge.

Ich würde 1300 für Mut nehmen.

Im weiteren Verlauf erweiterten wir die gemeinsamen Treffen und das Philosophieren um Workshops, in denen wir die Kinder in die körperliche Recherche einbezogen, gemeinsam Mut und Angst Scores entwickelten und Sequenzen aus dem Probenmaterial zeigten. Wir erforschten inwieweit wir „in gefährlichen Situation ruhig bleiben“ konnten und die Kinder kürten den Moment, wenn Guy Marsan mit Stelzen über sie läuft als einen Lieblingsmoment.

Dass Mut und Angst wie zwei Seiten einer Medaille – die es übrigens auch ins Stück schaffte – sind, wurde uns nicht nur von den Kindern gespiegelt. Eine Woche beschäftigten wir uns intensiv mit unseren eigenen Ängsten als Kind und Erwachsene und glichen sie mit den Ängsten der Kinder ab. In dieser Zeit begegneten uns im Alltag überall Augen, die zum Symbol und Inbegriff der Angst wurden

Und so war es die Angst, die uns den Weg zum Mut ebnete: Mutprobe 3: „Seine Ängste aussprechen.“

In 24 Mutproben blickten wir ins Angesicht des Löwen (Mutprobe 1), übten uns im Anders Sein (Mutprobe 12), teilten den Raum mit einem Monster (Mutprobe 13), sprangen ins Ungewisse (Mutprobe 18), hielten die Leere und die Schwere aus (Mutprobe 21) und schauten einander (und vor allem unserem jungen Publikum) in die Augen (Mutprobe 24).

Wenn wir gegen Ende des Stücks unser selbst gebautes Monster erklimmen und ihm in die Augen blicken, begegnen wir sinnbildlich unserer Angst auf Augenhöhe. Vielleicht verschwindet die Angst nie ganz, und spielt mal Vordergrund- und mal Hintergrundmusik, so wie der Sound von Gregory Büttner. Vielleicht kommt sie auch in ganz unterschiedlichen Ausprägungen wieder, egal ob wir groß oder klein sind. „1004 Zentimeter Mut“ möchte keine Anleitung zum Mutigsein oder die Eliminierung der Angst vorschlagen, sondern sichtbar machen wie Ängste Teil des Lebens sind, sein dürfen und zugleich einen Umgang erfordern, um das Erschreckende im Rahmen zu halten.

Mut ist auch, wenn man sich traut und es einfach macht. Manchmal bedeutet dieser kleine Schritt aber jede Menge Überwindung. Wir durften erfahren, wie dieser Aspekt der Überwindung, sei es auf einer körperlichen oder gedanklichen oder performativen Ebene, eine unglaubliche Freude und Leichtigkeit freisetzen und vor allem anstecken kann.

Bei der letzten Vorstellung an einer Grundschule war eine solche Begeisterung und ein Bewegungsdrang im Raum, dass wir das Nachgespräch kurzerhand zu einem gemeinsamen Nachtanzen veränderten. Die Kinder fingen von alleine das Stück körperlich zu rekapitulieren, kletterten an der Wand, ahmten die Tierbewegungen nach und zeigten uns ihre eigenen akrobatischen Moves. Diese Erfahrung hat mir gezeigt, dass der Prozess der Vermittlung nicht mit dem Stückprozess abgeschlossen ist, sondern mit jeder Vorstellung weiter gedacht und entwickelt werden kann, wie Vermittlung und künstlerischer Prozess ineinander greifen. Vor allem hat sie mir Lust gemacht, bei jeder Vorstellung anhand kleiner Dreh- und Angelpunkte Neues zu probieren und die Reaktionen der Kinder immer weiter einfließen zu lassen.

An diesem Nachmittag schlugen wir den Rekord im Autogramme und Augen auf Unterarme malen…

Ist im Bauch, kitzelt mich und will raus. Ist grün oder orange oder gold und glitzert – wie gleißend helles Licht, wie Sonnenlicht. Kannst du im ganzen Körper sammeln – ist auch im Kopf – in dir, in mir. Ist fern und nah – ist hier und da. Ist unsichtbar.

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WOOSH! ZACK! PENG! https://explore-dance.de/journal/woosh-zack-peng/ Thu, 16 Mar 2023 08:00:12 +0000 https://explore-dance.de/?p=10481 Rykena/Jüngst: Splaaash | 16. März 2023 [...]

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Illustration: Jul Gordon

WOOSH! ZACK! PENG!

RYKENA/JÜNGST: SPLAAASH

 

Für ihr Pop Up Splaaash bedienen sich die beiden Choreograph*innen Lisa Rykena und Carolin Jüngst dem Stilmittel der Überzeichnung und erleben in der von Raphaela Andrade geschaffenen Soundkulisse eine Geschichte von Macht, Kraft, Zeitreise, Tod und Wiederauferstehung. Die Hamburger Illustratorin Jul Gordon hat das Team während einer Aufführung begleitet und, ganz im Sinne des Stoffs, das Erlebte in einem Comic verarbeitet.

Illustrationen von Jul Gordon. Text von Oskar Smollny | 16. März 2023

Splaaash 1. Jul Gordon.

Knall! Rappel! Zapp!

 

Lisa Rykena und Carolin Jüngst nehmen Lautsprache als Stilmittel der Comic-Geschichte und machen ihn mit Hilfe der Musikerin Raphaela Andrade zum akustischen Motor ihres Stückes Splaaash. Es kracht, wuscht und matscht! Und die beiden Tänzer*innen bewegen sich synchron zu den live eingespielten Klängen, dass vor den Augen und Ohren des Publikums eine Welt heraufbeschwört wird, die sich wie eine Blase in den Turnhallen, Aulen und Jugendzentren ausbreitet, in denen das Pop Up Stück zu Besuch ist. Obwohl das Stück mit einem Schmunzeln auf das nach wie vor von männlichen Charakteren und Stereotypen geprägte Genre der Superheld*innen-Erzählung blickt, wird das Publikum während der Vorstellung auch von Dramatik und Ernsthaftigkeit überrascht: neben Übertreibung und Überzeichnung gehört Konflikt und Kampf gleichwohl zu den in Comics erzählten Geschichten.

Boom! Kapow! Woosch! Zack! Peng!

 

Wenn Wonder Woman ihr Lasso der Wahrheit schwingt, She-Hulk ihre übermenschlichen körperlichen Kräfte einsetzt oder die Privatdetektivin Jessica Jones sich durch New York schlägt – stets sind die Protagonist*innen begleitet von den großen Buchstaben der lautmalerischen Textwolke, die uns Leser*innen den Klang ins Schriftbild übersetzt.

Illustration: Jul Gordon
Illustration: Jul Gordon
Illustration: Jul Gordon
Illustration: Jul Gordon
Illustration: Jul Gordon
Illustration: Jul Gordon

Boing! Zoink! Zing!

 

Wie erzählen wir über unsere Körper Geschichten? Und wie sieht ein*e Superheld*in aus, wenn wir sie selber entwerfen können? In Splaaash entdecken und beschwören Rykena und Jüngst ihre Körper, werden zu Feuer, zu Gummi und fließen mit Hilfe ihrer aufgeblähten Kostüme durch Raum und Zeit. Die Hamburger Illustratorin und Comiczeichnerin Jul Gordon fängt in ihrem Zine die Transformation zwischen den Zuständen der Produktion für junges Publikum wunderbar ein und lehnt sich an die Quelle der Stückinspiration, das Medium „Comic“, an.

Illustration: Jul Gordon
Illustration: Jul Gordon

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Die Essenz des Kusses https://explore-dance.de/journal/die-essenz-des-kusses/ Fri, 29 Apr 2022 14:00:05 +0000 https://explore-dance.de/?p=8841 Raymond Liew Jin Pin und Jascha Viehstädt: 1000 Kisses | 29. April 2022 [...]

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Foto: Vera Drebusch

DIE ESSENZ DES KUSSES

RAYMOND LIEW JIN PIN & JASCHA VIEHSTÄDT: 1000 KISSES

Was ist die Essenz des Kusses? Wird der Partner fremd in der Wiederholung? In 1000 KISSES erforschen die beiden Choreographen und Tänzer Raymond Liew Jin Pin und Jascha Viehstädt, wie sich die archetypische Geste des Kusses verändert, wenn man ihre Emotionalität durch Zählen relativiert. Die Wissenschaftjournalistin Dr. Stephanie Maeck hat die beiden in Hamburg zu einem Werkstattsgespräch getroffen.

Von Dr. Stephanie Maeck | 29. April 2022

Explore dance: Jascha und Raymond, ihr beide habt Euch für die Proben zu Eurer Performance 1000 Kisses viele tausend Mal geküsst – habt ihr mehr verstanden über den Kuss, oder ist er für Euch sogar rätselhafter geworden?

 

Jascha: Wir suchten mit unserer Arbeit den Über-Kuss, so etwas wie die Essenz des Kusses. Das Ergebnis sollte zeigen, was ist das, ein Kuss? Wir haben den Kuss dazu auseinandergebrochen in einzelne Momente. Wir flochten Verweise an Rituale und Trancemomente ein und haben auch religiöse Momente übersetzt. Am Ende sind viele kleine Assoziationen herausgekommen. Viele der zusehenden Schüler*innen haben dennoch Ideen entwickelt, die uns überraschten. Bemerkenswert für mich war: Irgendwann wurde der Kuss für uns als Tänzer abstrakt – er war nicht mehr mit einer romantischen Geste oder einem Gruß verknüpft, sondern der Kuss wurde zum „Tanzkuss“, vergleichbar einer beliebigen anderen Bewegung, wie etwa das Bein zu heben. An den ersten Probetagen war das Küssen noch emotional aufwühlend, später glich es allen anderen Bewegungen.

Raymond: Eingeflossen in den Probenprozess ist zudem, dass wir auch privat ein Paar sind. Würden zwei Choreographen zusammenarbeiten, die kein Paar sind, ergäbe das vermutlich eine andere Perspektive. Es gibt bei uns immer die Schicht unseres Privatlebens, die beim Tanz berührt wird – nach einer Show fragte uns zum Beispiel ein Schüler, ob das Stück unsere Liebesbeziehung behandele. Vielleicht – aber zunächst ist der Kuss für uns eine Bewegung.

 

Ihr arbeitet auf der Bühne mit der Wiederholung als Stilmittel. Was passiert mit dem Körper, wenn man einen Kuss so oft wiederholt?

 

Raymond: Während der Performance zählen wir, und die Wiederholung wird so augenfällig. In mir als Tänzer tauchen dabei sehr viele Bilder und Emotionen auf, mit denen wir in der Performance weiterarbeiten. Das Begehren, jemanden zu küssen oder die Erwartung, selbst gleich geküsst zu werden, sind verbunden mit vielen Facetten von Gefühlen: Der Körper gerät in einen Zustand der Erwartung.

Jascha: Als Performer sind wir es natürlich gewohnt, uns auf der Bühne zu exponieren. Über die Wiederholung von Bewegungen geraten wir in einen gewissen Zustand, von wo aus wir entwickeln. Über diesen State ergeben sich Bilder und Assoziationen, die wir verknüpfen.

 

Wird der Kusspartner auch fremd in der Wiederholung?

 

Raymond: Umso mehr ich eine Bewegung wiederhole, umso mehr verstehe ich sie und umso deutlicher wurden mir auch der Kuss und zugleich mein Gegenüber. Beim Küssen bemerkte ich viele Dinge, die feuchten Lippen, der Geruch des anderen, der in seiner Sinnlichkeit detailreich wird. Und man fragte sich, warum tun Menschen das eigentlich, sich zu küssen?

 

Eine zentrale Frage. Arbeitet ihr bei der Entwicklung einer Performance denn eher analytisch oder intuitiv?

 

Jascha: Wir hatten zu 1000 Kisses eine lange Vorbereitungsphase, in der wir uns dem Kuss konzeptionell näherten und auch ein bisschen Theorie berücksichtigten. Normalerweise extrahieren wir aus einer Grundidee die Struktur und suchen dazu Bilder. Das gibt uns Sicherheit: Durch die haltgebende Struktur hoffen wir auf intuitive und automatische Prozesse im weiteren Verlauf. Hier hatten wir die Idee zu zählen: Zählen zieht ja auch das Publikum mit, man nimmt im Verlauf eine analytischere Perspektive ein und blickt distanzierter auf den Kuss. Das Zählen verändert also die Bedeutung des Küssens – wie es zuweilen auch zwischen zwei Menschen passiert. Wenn Menschen sich küssen, sind mitunter auch andere Gedanken mit im Spiel: Auf die Kinder aufpassen, Aufgaben im Haushalt, Abgelenktsein durch das Handy. Genauso relativiert das Zählen die Emotionalität des Kusses.

 

Zählen zielt im Gehirn auf das Zentrum für das rational-logische Denken, wohingegen Bewegung eher aus dem Bereich für Emotionalität und Intuition kommt. Ist es auf der Bühne schwierig, beides zusammenzubringen?

 

Jascha: Tatsächlich hat sich diese Schwierigkeit bemerkbar gemacht. Normalerweise spreche ich nicht so viel auf der Bühne. Ich nutze die Zahlen bei diesem Stück als Unterstützung meiner Arbeit. Bei den ersten Proben haben wir uns wild verzählt, manchmal sind wir um 100 Counts zurückgesprungen, ohne es zu bemerken.

 

Raymond, als Hintergrund bringst Du viele verschiedene kulturelle Tanztechniken mit. Fließt in 1000 Kisses viel davon ein?

 

Raymond: Bei dem zuvor realisierten Stück arbeitete ich tatsächlich bewusst mit Referenzen an traditionellem chinesischen, indischen oder malaysischen Tanz. Für 1000 Kisses vertraue ich stärker meinem Embodiment in der Situation: Welche Bewegung braucht es auf der Bühne? Dann übe ich sie aus.

 

Für das Bühnenbild setzt ihr Poolnudeln ein, und teilweise wirkt die Arbeit mit ihnen geradezu skulptural, wenn ein Baum mit Ästen daraus auf der Bühne entsteht.

 

Jascha: Als K3 uns fragte, ob wir eine Performance beisteuern würden, wollten wir konzeptionellen Tanz vorstellen und Bildende Kunst einbeziehen. Daher haben wir für Bühne und Medieneinsatz Balz Isler und Signe Koefoed für die Kostüme gefragt. Balz Isler hat viel im Bereich Performance-Skulptur gearbeitet. Das Bühnenbild sollte einer Skulptur ähneln und für sich stehen können. Andererseits sollte es zugleich einen freien Raum für Assoziationen schaffen. Ab einem gewissen Punkt entwickeln Stücke ein Eigenleben: Der Baum aus Poolnudeln schafft einen Assoziationsraum. Die Schüler*innen hatten dazu so viele Ideen, die uns gar nicht in den Sinn kamen: Was bedeutet es, wenn Du auf dem Baum bist und die einzelnen Äste abreißt? Ein Schüler erblickte in den Ästen die Erwartungen der Gesellschaft gegenüber homosexuellen Paaren und vermutete, dass wir uns diesen Konventionen symbolisch entledigten, wenn wir Äste zu Boden werfen.

 

Inspiriert Euch eine solche Rückmeldung aus dem Publikum?

 

Raymond: Es ist wertvoll, und es ist schön, unser Stück mit den Augen der jungen Zuschauerinnen und Zuschauer neu zu entdecken. Man merkt: Die Performance ist fluide, auch in ihrer Bedeutung. Für uns war es das erste Stück für junges Publikum, daher haben wir überlegt, was wir voraussetzen können an Erfahrungen und Sehgewohnheit. Daher liefern wir auch eine kleine Leseanleitung als Intro.

 

Euer Stück bewegt sich zwischen Anklängen an eine westliche Hypersexualisierung, ist streckenweise aber wiederum regelrecht mediativ und verträumt. Was wolltet Ihr erzählen?

 

Jascha: Wenn sich zwei Männer auf der Bühne küssen, ruft das sexualisierte Kontexte auf – deswegen gehen wir bewusst nicht weiter. Wenn wir uns etwa auf die Pool-Nudeln legen, ist jedes Mal ein Atemstocken im jungen Publikum zu bemerken: Ziehen die sich jetzt aus? Wir deuten mehr an, als die Sexualität des Kusses zu zeigen. In der asiatischen Kultur hat der Kuss eine verträumt-romantische Seite, die wir ebenfalls ansprechen in unserer Inszenierung.

Raymond: Eine Lehrerin merkte an, dass einige Schüler*innen großgeworden seien mit Pornographie im Internet, dass sie aber beim Betrachten des Küssens teilweise kaum hinsehen könnten. Die Jugendlichen sind in der Tat an digitale Welten sehr gewöhnt, aber die direkte Inszenierung weckte auch Scham. Obwohl die Jugendlichen so viele Möglichkeiten haben, sich zu informieren, sind sie heute verunsichert. Da ist viel Druck zu spüren, gut zu küssen, selbst diesen Bereich versuchen sie wie die Bilder auf Instagram noch zu optimieren. Die Resonanz der Jugendlichen etwa durch Kichern im Bühnenraum zu spüren, ist für jede einzelne Performance sehr wichtig

 

Ist die Performance jedes Mal einzigartig?

 

Jascha: Unsere künstlerische Intention ist stets die gleiche, doch was entsteht, ist jedes Mal von Neuem spannend. Spielen wir vor Schüler*innen, so ist die Reaktion direkter als bei Erwachsenen: Jedes Mal fließt Tagesaktualität hinein. Einen Tag sollten die Schüler*innen unmittelbar im Anschluss auf eine Antikriegsdemo. Auch auf der Bühne ging mir durch den Kopf: Wir haben den Angriffskrieg Russlands in der Ukraine – was bedeutet es jetzt, dieses Stück zu sehen und aufzuführen? 1000 Kisses verhandelt so direkt die Themen Gender und Sexualität, da zwei Männer sich auf der Bühne küssen, dass es an jenem Tag zu einem Stück über Freiheit in der Gesellschaft wurde und über die Grenzen dessen, was man äußern darf und was nicht.

 

Zuvor hatten wir Coronazeit und erleben diese teils immer noch mit vielen Einschränkungen: Was bedeutete es, ein so intimes und körperliches Stück in dieser Zeit der Berührungsferne zu realisieren?

 

Jascha: Interessanterweise thematisierte unser Publikum im anschließenden Gespräch nie die Pandemie. Auch bei uns drängte sich das Thema weniger auf. Wir hatten einfach das Bedürfnis, das Stück zu machen. Wir wussten nur in der Vorbereitung nicht, ob wir beim Aufführen Masken würden tragen müssen. Das wäre für die Umsetzung speziell gewesen. Zum Glück regelte sich das. Ich empfinde es als schön, dass das Stück so körperlich ist – vielleicht bringt es dadurch etwas zurück, was wir in den letzten 2 Jahren verloren haben.

 

Eure Performance ist tatsächlich sehr körperlich, beinahe haptisch. Gab es Inspiration aus der Kunstgeschichte? Mich erinnert die Arbeit auch an Marina Abramovic. Auch sie liefert sich in Performances wie The Artist Is Present körperlich auf extreme Weise aus – sich tausend Mal zu küssen, ist ähnlich fordernd.

 

Jascha: Tatsächlich ist der Kuss, den wir mit Ton in der Mundhöhle machen, eine Hommage an eine Performance von Marina Abramovic, bei der die Performer gegenseitig so oft ein- und ausatmen, bis sie in Ohnmacht fallen. Wir wollten die Konfrontation zweier Körper zeigen, und nicht nur die Zärtlichkeit des Kusses abbilden. Im Kuss steckt auch Gewalt. Wir haben auch Anklänge aus dem deutschen Expressionismus im Tanz einfließen lassen. Wir nennen die Szene The German Witch, und dachten dabei an Mary Wigman und ihren Hexentanz, der sehr expressionistisch ist und sich zwischen Tanz und Performing Arts bewegt. Ein Moment ist inspiriert durch das Stück Café Müller von Pina Bausch: Jene Szene, in der wir Bewegungen schnell wiederholen und variieren. Wir wollten diese Referenzen wie Geschmacksideen in das Stück einweben, sodass die Schüler*innen diese Geschmacksnoten später vielleicht wiederentdecken können, wenn sie als Erwachsene darauf stoßen.

 

War es einfacher, diese Intimität zu entwickeln, da ihr ein Paar seid?

 

Jascha: Es wäre auf jeden Fall ein anderes Stück geworden vermutlich mit einer anderen Idee, wenn wir nicht liiert wären. Ich glaube, es hilft für die Idee des Stücks auf jeden Fall, dass wir zwei Männer sind, sodass ein bestimmter Raum aufgespannt wird. Ich hätte gleichwohl Lust, eine Version zu entwickeln für einen Mann und eine Frau oder zwei Frauen.

Raymond: Mein nächstes Stück wird sich der LGBTQ- Problematik in Malaysia widmen. In Malaysia wäre es kaum denkbar, dass sich zwei Männer auf der Bühne küssen. Ich habe den Wunsch, mit den Performances künftig für mehr Offenheit in Geschlechterfragen einzutreten und zu wirken.

 

Versteht ihr Euch als politische Künstler?

 

Raymond: Wir werden dazu! Wir werden gerade politisiert durch alles, was momentan passiert in der Welt. In der Covidpandemie konnten wir als Ehepaar nicht in meine Heimat Malaysia einreisen, da die Ehe zwischen Männern verboten ist und Jascha somit nicht als meine Familie galt.

 

Das ist nicht zeitgemäß. Doch was habt ihr neben der Forderung nach größerer Offenheit in Geschlechterfragen nun über das Küssen herausgefunden?

 

Jascha: Während der Arbeit am Stück las ich eine Analyse, welche Kulturen sich aufgrund romantischer Gefühle küssen. Demnach tun dies nur 60 Prozent. In der Studie wurde dies mit der Menge an Kleidung am Körper verknüpft. Die These: Umso weniger Kleidung Menschen am Körper tragen, umso weniger küssen sie sich, da bereits eine körperliche Intimität existiert. Das hat für mich viel Bezug zum Tanz. Viele tropische Naturvölker küssen sich gar nicht, weil sie im eternal summer kaum bekleidet sind. Die Inuit hingegen sind komplett bedeckt und haben nur ihr Gesicht frei – sie küssen sich. Der Kuss ist wohl eine Konzentration auf körperliche Nähe: Wo es gesellschaftliche Konventionen oder Kleidung gibt, ist er genau wie das Handhalten eine Möglichkeit der Annäherung. In distanzierten Gesellschaften erlaubt er, wieder Nähe herzustellen. Es ist eine archaische Verbindung zu unseren Ursprüngen und gestattet, uns mit unserer menschlichen Natur zu verbinden.

 

Gewissermaßen eine Verbindung zu unseren archaischen Wurzeln. Brauchen wir dann auch mehr Küsse in dieser weltpolitisch schwierigen Zeit? Ist der Kuss auch eine Friedensgeste unter Menschen und Völkern?

 

Jascha: Wir glauben, dass der Kuss diese symbolisieren kann, er aber genauso das Gegenteil bedeuten kann, nämlich gewalttätig und übergriffig sein kann. Er ist nicht nur die romantische Friedensgeste, sondern er kann zugleich Leiden schaffen. Es geht um Einflussnahme von Menschen aufeinander und die Wechselwirkung, wie wir aufeinander einwirken, als Freunde oder als Feinde? Ich fände es schön, wenn Schüler*innen durch 1000 Kisses über all diese wichtigen Fragen des Menschseins ins Gespräch kommen.

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Wenn sich Musik in Tanz verwandelt https://explore-dance.de/journal/wenn-sich-musik-in-tanz-verwandelt/ Mon, 13 Dec 2021 08:00:19 +0000 https://explore-dance.de/?p=8177 Jenny Beyer: Suite | 13. Dezember 2021 [...]

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WENN SICH MUSIK IN TANZ VERWANDELT

JENNY BEYER: SUITE

Spricht Musik direkt zum Herzen? Oder gelangen Töne übers Ohr in den gesamten Körper, den sie dadurch in Bewegung versetzen? Soviel ist sicher: Die Beziehung zwischen Klängen und menschlicher Körperbewegung ist direkt und ursprünglich. Darauf vertraut auch Jenny Beyer in ihrer Produktion Suite. Zum ersten Mal gestaltet die Hamburger Choreographin für junges Publikum. Ihr Anliegen: Kinder sollen verstehen, wie sich Musik in Tanz verwandeln kann.

Von Dagmar Ellen Fischer | 13. Dezember 2021

Als Ausgangspunkt wählte sie die „Suite für Violoncello solo Nr. 1“ von Johann Sebastian Bach. Die einzelnen Sätze tragen zwar Titel von (historischen) Tänzen, doch getanzt hat dazu im 18. Jahrhundert – als Bach sie komponierte – schon niemand mehr. Dennoch reagiert die Choreographin, die früher selbst Cello spielte, bei ihrer Gestaltung auf die unterschiedlichen Stimmungen von Prélude, Allemande, Courante, Sarabande, Menuett und Gigue. Die unmittelbare Verständigung zwischen der live musizierenden Cellistin Lea Tessmann und den beiden Tanzenden Jenny Beyer und Joel Small gehörte dabei von Anfang an zum Konzept.

Prélude

Die Aufführung am Vormittag auf Kampnagel verfolgen mehrere Schulklassen, platziert in einem weiten Kreis um die Akteur*innen herum. Diese Anordnung ist deutlich geeigneter für eine direkte Kommunikation zwischen Darstellenden und Publikum. Schon beim Einlass locken Stimmen aus kleinen (Lautsprecher)Würfeln, die über dem Bühnenraum von der Decke baumeln: Eingefangene Statements von Kindern, zahlreich und zeitgleich wiedergegeben, so dass sie sich zu einem Stimmenbrei vermischen.

Tatsächlich beginnt die Live-Musik der Aufführung ohne Bach: Am Anfang beklopft die Cellistin ihr Instrument, woraufhin Jenny Beyer das Gleiche mit dem Rücken ihres Kollegen macht. Auch Streich-, Rubbel- und Wischbewegungen auf dem Cello imitiert sie mit entsprechenden Berührungen ihres Partners, bis sich schließlich Cello-Töne und Bewegungen in einem regelmäßigen Rhythmus gemeinsam einpendeln. Auch zum folgenden Rollentausch – Joel ist der Aktive, der Jenny bewegt, schüttelt und einzelne Körperteile von ihr anhebt – erzeugt Lea das passende akustische Pendant. Auf diese Weise entwickelt sich ein Dialog zwischen den nun gleichermaßen aktiven Tanzpartner*innen einerseits und der musikalischen Improvisation andererseits.

Als Lea mit Bachs Prélude einsetzt, gehört Joel der Raum zunächst allein: Er läuft, stoppt plötzlich und spielt den Erschrockenen – die Kinder lachen über den provozierten Schreckmoment. In Jennys Solo dominieren im Folgenden schlängelnde Bewegungen. Erst im nächsten Satz finden beide tanzend zusammen, dicht hintereinander einer als Echo der anderen. Alternativ zum traditionellen Paartanz hebt sie ihn. Für Kinderaugen unvertraute Sequenzen wechseln mit solchen, die vermutlich bekannte Bilder hervorrufen, wie das Prellen von Bällen – ohne Bälle. Sobald eine Bewegung mehrfach wiederholt und somit nachvollziehbar wird, versuchen einige Kinder, sie zu imitieren. Joel lauscht am Cello, Jenny lauscht an Lea.

Courante

Bei jedem Suiten-Satz findet die Cellistin einen neuen Sitzplatz, sodass sich die räumlichen Abstände zwischen den Akteur*innen verändern. Auch die Bewegungsqualitäten wechseln, so sind mitunter aggressives Boxen, unkontrolliertes Schleudern, dann wieder Bewegungen in Zeitlupe zu sehen. Es gibt Phasen, in denen sich Jenny und Joel in schnellem Tempo zu langsamer Musik bewegen oder sich sogar von deren Metrum gänzlich unabhängig machen. Verbeugungen zitieren das Vokabular der im 17. Jahrhundert populären Tänze, dann wiederum konterkarieren Jazzwalks die Anspielungen auf höfische Etikette. Auch Alltagsbewegungen aus unserem Jahrhundert werden eingebaut, so beispielsweise Kopf-Wackeln, Winken, Krabbeln.

Alle drei Akteur*innen tragen Jogginganzüge in einer Farbkombination aus hellgrau und knallrot. In einer Satz-Pause legen die Tanzenden sie ab und zeigen die darunter versteckten Outfits mit Leopardenmuster. Während Jenny auf der äußeren Kreisbahn nah an den Publikumsreihen entlang tanzt, versuchen einige Jungen vorsichtig, Jennys Leoparden-Leggins mit ihren Fingerspitzen zu berühren: Die Einladung zu kommunizieren, funktioniert.

Zum letzten Satz der Suite, der fröhlichen Gigue, setzen sich alle Drei dicht hintereinander auf einen Hocker: vorne Lea mit dem Cello, dahinter Jenny, dann Joel. Leas musizierende Streichbewegungen ahmen die beiden anderen wie Schatten nach, auch setzen sie ihre Hände zusätzlich auf das Griffbrett des Instruments. Schließlich separieren sich die individuellen Drillinge, bewegen sich ein letztes Mal individuell und beenden die Vorstellung gemeinsam mit dem letzten Ton, der finalen Geste, während es im selben Moment dunkel wird.

Menuett

Dem Warm-up bzw. Tune-in am Anfang entspricht ein Cool-down am Ende: In drei Gruppen aufgeteilt, können die Kinder jeweils einem der drei Mitwirkenden Fragen im Anschluss an die Aufführung stellen. Da wird gefragt, warum das Licht wechselte, wie lange es dauerte, sich alles zu merken und warum die Jogging-Anzüge ausgezogen wurden. Jenny wurde gefragt, ob es für sie schwierig war, ihren Tanzpartner hochzuheben – die bewusst umgekehrte Variante wurde offenbar bemerkt.

Eine gemeinsame Aktion, die sich auf die Einleitung bezieht, macht die Vorstellung final schlüssig und rund: Was Lea auf dem Cello spielt, können die Kinder mit ihren Händen auf dem eigenen Körper nachahmen: Die Musik klingt wie tasten, trommeln, prickeln, streichen, klopfen und endet mit einer von Jenny so benannten „Schüttelmusik“, zu der sich alle wild und schüttelnd austoben dürfen.

Eingerahmt von den spielerischen Anteilen am Anfang und Ende der Aufführung, in denen vielfältige, auch perkussive akustische Reize die Fantasie der Anwesenden anregen, wirken die anspruchsvollen Cello-Suiten als musikalischer Kern im Kontrast dazu umso kunstvoller; zugleich relativiert diese freiere Musik die Bach’schen Kompositionen und bewirkt einen leichteren Zugang zu ihnen. Die gegenseitige Aufforderung zum Tanz, die Jenny und Joel zelebrieren, setzt sich folgerichtig fort und bezieht das Publikum im Laufe der Aufführung mit ein.

Erarbeitet wurde die Choreographie über längere Phasen der Improvisation, so dass letztlich jede*r der beiden Tanzenden eigene Motive und Bewegungsfolgen entwickeln konnte, die zu ihrem bzw. seinem Körper passen und entsprechend überzeugend präsentiert werden können. Die unterschiedliche Physis der Drei, aber auch die physikalische Anwesenheit des Cellos, bieten verschiedene Identifikationsangebote für Kinder. Ergänzend transportiert die Choreographie nonverbal Botschaften wie „Tanzen ist unabhängig vom Geschlecht“ und hinterfragt per Körpersprache fast beiläufig überholte geschlechtstypische Rollen im Tanz. Zusätzliche Sound-Elemente des Künstlers Jetzmann, mit dem Jenny seit Jahren zusammen arbeitet, öffnen Kinder-Ohren für Brüche: „Ich mag es, wenn nicht nur Bach zu hören ist“, sagt die Choreographin. Ihr war es ein Anliegen, Kindern zu vermitteln, dass es kein falsch und richtig gibt, wenn Bewegung zu Musik erfunden wird. Dazu dienen auch jene Passagen der „Suite“, in denen Stillstand zu bewegter Musik zu sehen ist und komplexe Bewegungen zu musikalischen Pausen passieren dürfen. Musik inspiriert, aber zwingt keine Bewegung auf.

Gigue

Warum aber bringt Musik Menschen in Bewegung? Das mag zum einen daran liegen, dass im Phänomen Schall eine Bewegung schon angelegt ist, denn alles, was wir akustisch wahrnehmen, ist nichts anderes als mechanische Schwingung. Seziert man Musik in die Bestandteile Rhythmus und Melodie, so finden sich im Bereich Rhythmus Schnittmengen mit dem menschlichen Körper: das Auf und Ab der Atembewegung und der Pulsschlag des Herzens. Außerdem evoziert die dualistische Anlage des Körperbaus rhythmisch geordnete Bewegungen wie gehen, laufen, hüpfen und springen.

Ein Indiz für diese Tatsache ist schon bei Kleinkindern zu beobachten: Die meisten auch sehr jungen Kinder reagieren, sobald sie Musik hören, mit Körperbewegungen, die sich deutlich von Alltagsbewegungen unterscheiden und die man im weitesten Sinn Tanz nennen kann. Auch aus den Kindertagen der Menschwerdung ist bekannt, dass in archaischen Ritualen sowohl Tanz als auch Töne in gezielter Abstimmung aufeinander eine bedeutende Rolle spielten. Und vor über 2000 Jahren gab es in der griechischen Antike für eine aus Tanz, Musik und Dichtung bestehenden Bühnenkunstform nur ein gemeinsames Wort: musikē.

Musizieren ist immer auch Bewegung. Jenseits der Schwingung der erzeugten Töne bewegen sich die Musizierenden selbst und mit ihnen (meist) auch das Instrument.
Jenny Beyers Suite vertraut diesen vielfältigen Bezügen auf unterschiedlichen Ebenen, und sie traut dem jungen Publikum zu, selbst weitere Anknüpfungspunkte zu entdecken. Im Probenraum des kreativen Teams hingen zu Beginn der Arbeitsphase jede Menge inspirierende und motivierende Fragen. Eine lautete: „How to get into Bach?“ Besser als mit Suite kann man sie kaum beantworten.

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