fabrik Potsdam Archive - explore dance https://explore-dance.de/tag/fabrik-potsdam/ Tanz für junges Publikum Wed, 08 Nov 2023 19:22:35 +0000 de hourly 1 https://explore-dance.de/wp-content/uploads/2019/02/cropped-Favicon-32x32.png fabrik Potsdam Archive - explore dance https://explore-dance.de/tag/fabrik-potsdam/ 32 32 „So viel vorbildhafte Kulturvermittlung begegnet mir selten.” https://explore-dance.de/journal/vorbildhafte-kulturvermittlung/ Wed, 08 Nov 2023 15:02:31 +0000 https://explore-dance.de/?p=11627 Stimmen vom kulturpolitischen Panel am 26.09.23 in der fabrik Potsdam | 08. November 2023 [...]

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„So viel vorbildhafte Kulturvermittlung begegnet mir selten.”

Stimmen vom kulturpolitischen Panel am 26.09.23 in der fabrik Potsdam

 

Vom 23.-27.09.2023 fand in der fabrik Potsdam das vierte explore dance Festival statt. Der Fokus lag in diesem Jahr auf unseren Pop Up Stücken: Tanz-Performances, die so konzipiert sind, dass sie mit wenig Aufwand dorthin reisen können, wo unser Publikum sitzt. Egal ob Klassenzimmer, Turnhalle, Galerie, Begegnungszentrum oder im öffentlichen Raum – die Räume werden von unseren Choreograph*innen und ihren Stücken auf magische Weise für unterschiedliche Altersklassen verwandelt. Diese Flexibilität ist wichtig, da der Tanz somit niedrigschwellig zu Kindern und Jugendlichen kommt, die unter anderen Umständen keine Berührungspunkte zu dieser so offenen und inklusiven Form der Bewegungskunst haben: Kulturelle Teilhabe wird erhöht. Die Tragweite und Wichtigkeit des Projekts wurde im Rahmen des Festivals auf einem kulturpolitischen Panel mit Akteur*innen aus Politik, Kultur und Schule diskutiert. Dieser Journalbeitrag sammelt diese Stimmen, die auch fordern, dass das Angebot von explore dance erhalten bleiben und erweitert werden muss.

Manja Schüle

Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Brandenburg:

 

„explore dance arbeitet an der Vision von kultureller Teilhabe für alle. Tanz speziell für Kinder und Jugendliche gibt es zu wenig. Dafür bietet explore dance ein Programm – in den vier beteiligten Städten, auch auf dem Land, in Schulen und Kitas, in Museen und Theatern und auf der Straße. Mit Aufführungen, Gesprächen, Workshops, gemeinsamen Stückentwicklungen – das ist explore dance, das ist Mitmachen für alle!

Nora Elberfeld „1000 Zentimeter Mut”

Nicht nur für Heranwachsende, sondern auch für Pädagogen, Lehrerinnen und Künstler.

So viel vorbildhafte Kulturvermittlung begegnet mir selten.

Und das großartige Feedback seitens unserer Künstler*innen und Veranstalter bestätigt das. Aber: Das umfangreiche Programm von explore dance ist nur möglich, wenn der Bund weiter mitfördert. Wir, die beteiligten Städte und Länder wollen, dass das explore dance-Netzwerk auch nach 2023 weiterarbeiten kann, neue Partner gewinnt und bundesweit neue Spielstätten hinzukommen.“

Anna Till & Nora Otte „Schwanensee in Sneakers”
Sahra Huby „Hey Körper?!”

Michael Sacher

Mitglied der Grünen, Bundestagsabgeordneter und u.a. Mitglied im Kulturausschuss:

 

„explore dance zeigt, wie wichtig es ist,
kulturelle Bildung in die Schulen zu bringen

 

und dort auch Kindern, die nicht gewohnt sind, Kulturveranstaltungen zu besuchen, neue Horizonte zu eröffnen. Da kann man in der Schule Impulse setzen, die gar nicht hoch genug einzuschätzen sind. Insofern ist das eine sehr, sehr wichtige Aufgabe, die wir auch mit Bundesmitteln unterstützen.”

Uta Schrader

Lehrerin an der Voltaire-Gesamtschule Potsdam

 

„Das sind wirklich erfahrene Choreograph*innen, die jedes Kind individuell so unterstützen, dass da gemeinsam etwas entsteht. Und das ist ja genau das, was kulturelle Bildung auch erreichen sollte,

 

dass Kinder und Jugendliche über sich hinauswachsen und dass Konflikte und Schwierigkeiten, die auftauchen, dann aber auch überwunden werden.”

Rotem Weissman „Prisma”
Renae Shadler „Mein Freund Horace”

Kattrin Deufert

Choreographin spinnereischwelm:

 

„explore dance hat großes Potenzial und zeigt, dass Kunstpädagogik und Kunst nicht so stark voneinander getrennt sein dürfen.

 

Der Kontakt muss auf einer ganz alltäglichen Basis hergestellt werden. Den Kontakt zwischen beiden empfinde ich als unglaublich wertvoll, sowohl für die Kunst, die ich mache, als auch für die Arbeit mit meinen Kindern in der Waldorfschule.“

Rykena/Jüngst „Splaaash”

Schüler*innen aus Potsdam:

 

„Der große Unterschied beim Tanz ist, dass man nicht das Mittel des Sprechens nutzen muss, um Gefühle auszudrücken oder sich zu entspannen.

Für mich ist es einfacher, sich über Tanz auszudrücken.

Beim Tanz kann man Gefühle und emotionale Ebene sowie Musik und Bewegung kombinieren.“

„Toll ist beim Tanz, dass ein Raum entsteht, in dem man sich gegenseitig akzeptiert, so dass da nichts peinlich ist.

Deswegen ist Tanz wirklich sehr wichtig, auch an Schulen, weil es nicht nur ums Lernen geht, sondern eben auch um soziale Kompetenzen und um das Miteinander.“

Dr. Daniela Rippl

Referentin für Darstellende Kunst, Kulturreferat der Landeshauptstadt München:

 

„explore dance eröffnet eine Wahrnehmungs-Schule. Die Kinder kommen mit künstlerischen Inhalten in Berührung, sie können mitarbeiten. Das verändert das Kind und auch seine spätere Wahrnehmung. In der Sozialisierung kann neben dem Elternhaus vor allem die kulturelle Bildung Einfluss nehmen – und explore dance hat genau diese Möglichkeit. Teilhabe ist dadurch gegeben, dass das Projekt niedrigschwellig ist, dass es direkt zu den Kindern und Jugendlichen gebracht wird und zu den Lehrer*innen, die dann über Fortbildungen auch eine Sicherheit bekommen im Umgang mit dem Genre.

Durch die Netzwerkstrukturen werden bereits so viele Synergien gebildet, dass die eingesetzten Finanzmittel der beteiligten Kommunen und Länder vergleichsweise gering sind für all das, was sie im Verbund mit explore dance erreichen können. Die Stadt-Land-Bund Förderung ist die Zukunft.

 

Letztendlich zeigt das Projekt wie man nachhaltig mit Mitteln umgeht.

 

Durch die tänzerische Auseinandersetzung, die die Choreograph*innen gewährleisten und die interaktive Arbeit bekommen Kinder und Jugendliche noch mal ein ganz anderes körperliches Selbstbewusstsein, das sie stärkt und zu kritischen Geistern macht. Und dadurch ist sozusagen der Boden aufgebaut für eine Demokratie.

Yotam Peled „Where the Boys Are”

Ich denke, dass dieses Potenzial auch in explore dance steckt und das ist etwas, was kaum ausreichend wertgeschätzt und gefördert werden kann, weil es letztendlich um unsere Zukunft geht.“

Jana Schmück & Mami Kawabata „Wo drückt der Schuh?”
Rika Yotsumoto & Daniil Shchapov „Peng! Peng!”

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Warum Tanz in der Schule? https://explore-dance.de/journal/warum-tanz-in-der-schule/ Sat, 04 Feb 2023 08:00:08 +0000 https://explore-dance.de/?p=10257 Hermann Heisig: Happy Sisyphos | 04.02.2023 [...]

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Warum denn Tanz in der Schule ?

Ein Interview mit der Schulleiterin Dörte Simon-Rihn

Video und Interview von Sarah Naegele | 04.02.2023

Warum ist es wichtig, dass Tanz in die Schule geht? Was macht es mit den Schüler*innen? Im Gespräch mit der Schulleiterin Dörte Simon-Rihn gehen wir der Frage nach, was das Besondere am Pop-Up Format ist und was die Rezeption von Tanz in Schüler*innen bewirken kann.

Das Gespräch wurde am 13.12.2022 in der Gemeinschaftsschule Heiligengrabe, anlässlich der Aufführung vom Pop-Up Stück HAPPY SISYPHOS von Hermann Heisig.

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See you later, alligator! https://explore-dance.de/journal/see-you-later-alligator/ Mon, 16 Jan 2023 15:19:05 +0000 https://explore-dance.de/?p=9905 Renae Shadler: Horace | 18. Januar 2023 [...]

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Elisabeth von Mosch

SEE YOU LATER, ALLIGATOR!

RENAE SHADLER: HORACE

Elisabeth von Mosch arbeitet als freie Illustratorin und Grafikerin in Berlin und Potsdam. Für explore dance hat sie sich das Stück in einer Potsdamer Grundschule angesehen und zeigt uns, wie Renae Shadler und Horace gemeinsam ihr Unterwasserabenteuer bestreiten.

Illustration von Elisabeth von Mosch. Text von Oskar Smollny. | 18. Januar 2023

„Ein Duett mit einem Krokodil.“ Bei dieser Beschreibung denken die meisten wahrscheinlich eher an eine*n Dompteur*in oder an den berühmten Tierforscher und Abenteurer Steve Irwin, als an zeitgenössischen Tanz. Und eine Gemeinsamkeit fällt sofort ins Auge: die Choreographin Renae Shadler kommt, ebenso wie der als „The Crocodile Hunter“ bekannt gewordene Irwin, aus Australien. Ihr Stück HORACE verhandelt die wunderbar persönliche Beziehung des Krokodils und (imaginären) Kindheitsfreunds zu der Tänzerin selbst. Anstatt die Kinder aus ihrem gewohnten Umfeld herauszuholen, verwandelt Renae Shadler in ihrem Pop Up-Stück gemeinsam mit dem Skelett des Reptils den Klassenraum in eine Unterwasserwelt.

Elisabeth von Mosch

…in a while, crocodile!

Wie fängt man die Dynamik und Bewegung eines zeitgenössischen Tanzstücks ein und übersetzt diese in eine Illustration? Elisabeth von Mosch gelingt genau dieser Spagat zwischen Treue zum Stück und Interpretation der Beziehung zwischen Renae Shadler und dem zweiten, namensgebenden Protagonisten ihres Stücks: dem Krokodil Horace. Hierbei wird das Krokodil nicht „vermenschlicht“. Eine Möglichkeit, die in Anbetracht des Comic-Zeichenstils der Illustratorin durchaus denkbar gewesen wäre. Im Stück verschwimmen die Grenzen zwischen der Tänzerin und Choreographin und ihrem Tanzpartner, welcher nur als Skelettschädel anwesend ist. Shadler leiht dem Krokodil Bewegung und Körper, verbindet ihre eigene Geschichte mit dem des Gerippes, welche ohnehin unweigerlich miteinander verwoben sind.

Unter Wasser

In der Welt von Elisabeth von Moschs Bild sind Renae Shadler und Horace als synchronisiert schwimmendes Team unterwegs. Umgeben von einer im Hintergrund erkennbaren großen Diversität an Wasserbewohnern und -pflanzen, fügen sie sich in dieses Habitat mühelos ein. Die, trotz einfach gehaltener Zeichnung, gut als freudig erkennbaren Gesichtszüge Shadlers, spiegeln den auch bei den Kindern während der Performance hervorgerufenen Entdeckergeist wieder. Dennoch sind weder Shadler noch Horace herausgelöst aus ihrer Umwelt und reine Beobachter*innen, sondern zentraler Teil dieses Unterwasserbildes. Diese Zugehörigkeit, dieser Kreislauf werden im Stück ebenso deutlich, wie in Elisabeth von Moschs Illustration. Und ebenso findet diese Zeichnung als zukünftiger Teil des Begleitmaterials von Horace seinen Weg zurück in den Kreislauf der stetigen Stück(weiter)entwicklung.

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Vielstimmiges, spielerisches Zuhören https://explore-dance.de/journal/vielstimmiges-spielerisches-zuhoeren/ Tue, 12 Jul 2022 14:26:16 +0000 https://explore-dance.de/?p=9142 Lea Moro: Ohren Sehen | 12. Juli 2022 [...]

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Foto: Angelique Preau

VIELSTIMMIGES, SPIELERISCHES ZUHÖREN

Lea Moro: OHREN SEHEN

Was nehmen wir wahr, wenn wir genauer hinhören? Wie verschiebt sich unsere Wahrnehmung, wenn wir uns auf die Ohren fokussieren? Die Berliner Radiokünstlerin und Forscherin Kate Donovan (www.mattersoftransmission.net) begibt sich in Lea Moros Stück „Ohren Sehen“ gemeinsam mit den jungen Zuhörer*innen auf eine vielschichtige, akustische Reise in die Umwelt der fabrik Potsdam.

Von Kate Donovan. Übersetzung von Gabi Schaffner. | 12. Juli 2022

An einem ungewöhnlich warmen und sonnigen Märztag warteten wir vor der Fabrik Potsdam auf den Beginn von „OHREN SEHEN“, der Performance von Lea Moro. Wir wussten, dass es um Erkundungen und um Sinnlichkeit gehen würde. Wir wussten auch, dass das Zuhören eine Rolle spielen würde, aber ich fragte mich, was für eines…

Während wir warteten, schritt ich zwischen Sonne und Schatten im Hof auf und ab. Da waren die Geräusche wartender Kinder, Geräusche von jemandem, der telefonierte, Geräusche von weiteren Kindern, die auf dem Spielplatz in der Nähe spielten, von Menschen, die auf den Terrassen saßen und zu Mittag aßen. Es muss Vogelgeräusche gegeben haben, vielleicht auch der Klang von Wasser (wir waren nicht weit vom Ufer entfernt) oder Bootsgeräusche, aber ich muss zugeben, dass ich mich nur an die Töne erinnere, die von Menschen erzeugt wurden. Ich fragte mich, ob wir uns gleich auf eine Reise des Wahrnehmens begeben würden – der Flechten, der frühlingshaft aufbrechenden Knospen, der Materie, die auf der Wasseroberfläche schwappte. Ich schaute auf die Pflastersteine hinunter und bemerkte winzige Blumen, die in der Erde dazwischen wuchsen.

Anna Tsing hat über die Kunst der Wahrnehmung geschrieben; und obwohl sie vorwiegend über die verschiedenen Modi menschlicher und nicht-menschlicher Welterzeugung in Bezug auf den Kapitalismus schreibt, verwenden viele der zeitgenössischen Praktiken des Zuhörens ganz ähnliche Strategien, um der Wahrnehmung als einer Form der Einstimmung, der Fürsorge, des Beachtens einen Vorrang einzuräumen. Die Aufmerksamkeit gegenüber den oftmals vernachlässigten ‚kleinen‘ Dingen vermag uns zu einer Anerkennung sowohl der Relationalität als auch der Differenz führen. Der Titel des Stücks, auf das wir warteten – „OHREN SEHEN“, verweist bereits auf eine bewusste Verschiebung der Dynamik vom Sehen zum Hören; eine Verschiebung, wie sie auch Arthur Russell 1986 in seiner Liedzeile „I’m watching out of my ear“ besang.

Aber das war nicht der einzige Wahrnehmungsschub, der uns im Lauf der Performance bevorstand: das ‚Hören‘ wurde nicht im auditiven Sinne allein gedacht, sondern als eine mit greifbare Form der Rezeption und der Einstimmung – sinnlich und imaginativ.

Als wir den Theaterraum betraten, wurde unseren Sinnen nach und nach klar, dass wir uns tatsächlich im „Herzen der Stadt“ befanden. Ein Kind fragte: „Warum machen die das so langsam, alles?“ Eine großartige Beobachtung, und in der Tat könnte man sagen, dass Verlangsamung der erste Schritt zum Wahrnehmen ist…

Wir wurden in drei Gruppen aufgeteilt, bekamen Kopfhörer und wurden nach draußen geführt, um unsere vielstimmige Reise zu beginnen. Unsere Kopfhörer waren eigentlich Radioempfänger, die sowohl die Stimme (und den Atem) unserer Führerin als auch später den von ihr abgespielten Ton empfingen. Sie erklärte, dass „die Antenne uns verbindet“. Es gab ein ausgeprägtes Gefühl der Kollektivität in dieser Funkblase – wir empfingen alle die gleichen Signale von unserer Führerin. Durch unsichtbare Frequenzen verbunden, erfuhren wir eine gemeinsame Intimität, die vor allem durch den Klang ihrer Stimme bestimmt wurde. Radioübertragungen von kleiner Reichweite werden oft genutzt, um ortsspezifische, kollektive Hörerlebnisse zu schaffen, so bei Klangspaziergängen, Führungen und ähnlichen Aktivitäten. Selten jedoch werden sie als Teil unserer technologischen Infrastruktur erwähnt; vielleicht erscheint der Begriff „Radio“ da zu anachronistisch.

Das Hören über Kopfhörer schuf eine ganz besondere Hörerfahrung. So waren wir von unserer unmittelbaren Klangumgebung abgeschnitten und doch durch die Kollektivität unserer gemeinsamen Klangrezeption miteinander verbunden. Unsere Führerin schlug vor, nur einen Kopfhörer an und den anderen aus zu lassen, damit wir unsere Umgebung gleichzeitig wahrnehmen könnten. Ich glaube nicht, dass irgendjemand in unserer Gruppe diese (vielleicht unbequeme) Option gewählt hat, – auch, weil es einfach mehr Konzentration braucht, um auf die Umgebung und die Erzählebenen zugleich zu achten. Das soll nicht heißen, dass mehrstimmiges Hören nicht funktionieren kann: Unser Radiokunstprojekt Datscha Radio zum Beispiel sendet vorwiegend aus Gärten und ermutigt seine Zuhörer*innen dann, ebenfalls von einem Garten oder einem naturnahen Bereich aus zuzuhören – insbesondere 2017 (Donovan 2018). In den Schichten des Hörens verweben sich die Klänge der unmittelbaren Umgebung mit den Klängen der Übertragung. Dieses gemeinsame Hörerlebnis mit anderen, nah und fern zugleich, lässt ein Gefühl der Kollektivität entstehen und erzeugt parallel dazu eine Art Erdung mit der umgebenden Welt (2017, datscharadio.de). Es lässt sich hier von einer polyphonen Erfahrung sprechen. In Bezug auf das Hören schreibt Anna Tsing: „Als ich zum ersten Mal die Erfahrung der Polyphonie machte, war es eine Offenbarung des Hörens; ich war gezwungen, einzelne, gleichzeitig erklingende Melodien herauszufiltern und auf die Momente von Harmonie und Dissonanz zu achten, die sie zusammen erzeugten.“ (2015, 24).

Ein solches Zuhören erfordert Zeit und Konzentration, und dieses Theaterstück war, vielleicht, weil es sich an ein junges Publikum richtete, zu dynamisch für ein Engagement dieser Art: Eher hatten wir das Gefühl, uns auf einer Reise zu befinden, um den Klängen der Orte und der Geschichten (achtsam) zu lauschen. Es handelte sich dabei um ein körperbetontes, taktiles Zuhören, das dem ähneln mag, was Cecilia Vicuña als „Hören mit den Fingern“ (1983) bezeichnet. Aber Polyphonie ergab sich noch aus anderen Formen, als ein Chor von Stimme/n, als Assemblage von Erzählungen und Storytelling. Wesenheiten sprachen zu uns, aus verschiedenen Zeiten und Räumen. Eine Schlange führte uns unter die Erde, hinunter in die Kanalisation. Und Wasser führte uns zurück zu seinem Ursprung zu Beginn der Erdzeit.

Foto: Kate Donovan
Foto: Kate Donovan

Ähnlich wie in der Kinderpädagogik wurde das Element des Anthropomorphismus als Mittel eingesetzt, um eine Verbindung zu nicht-menschlichen Anderen herzustellen oder Empathie für sie zu entwickeln. Diesen Wesen wurde eine (menschliche) Stimme gegeben. Kinder kennen das gut, – man denke nur an die Bären und Kaninchen in all den Bilderbüchern, die Kleidung tragen, Uhren haben und in Betten mit Kissen und Decken schlafen!

Das soll nicht heißen, dass Kinder nicht verstehen, was vor sich geht, oder dass sie unfähig wären, die Machtdynamik solcher Vermenschlichung zu durchschauen; ich meine damit lediglich, dass Kinder in der Regel eine spielerische Fantasie haben. Zum Spielerischen gehört es, den Unglauben auszusetzen. Unter dem Motto des Spielerischen werden mehr Dinge akzeptabel.

Eine der Schönheiten des Radios besteht darin, dass die Entkopplung des Klangs von der Klangquelle (die Unsichtbarkeit des Ursprungs der Stimme) die Phantasie anregt. Wir konnten der Erzählung der Schlange in der Kanalisation direkt von einem Gullyloch aus folgen; wir konnten uns vorstellen, was wir nicht sehen konnten.
In diesem Sinne kann das Zuhören wie Lesen sein – der visuelle Aspekt bleibt dank der Plastizität und der Fluidität unserer Vorstellungskraft unberührt. Die Radio- und Theatermacherin Pavlica Bajsić Brazzoduro spricht in diesem Zusammenhang von der kollektiven Natur der Imagination: „Wir haben die Freiheit, Assoziationen und Bilder in unserem Kopf zu kreieren, und dadurch werden unsere Zuhörer*innen zu unseren Mitschöpfern. Wenn das Bild fehlt und uns nur der Klang bleibt, erlaubt diese Unterbrechung unserem Gehirn, sich den inneren Mechanismen der Vorstellungskraft zuzuwenden und unsere bewussten und unbewussten Gedanken, Gefühle, Erinnerungen und Projektionen kommen zum Vorschein.“

Während der Performance gab es Momente, in denen wir dazu angeleitet wurden, uns zu erlauben verletzlich zu sein – indem wir die Augen schlossen und gemeinsam an einem Seil entlanggingen; indem wir uns der Textur des Schlamms hingaben; indem wir uns im Auge des Sturms umhertreiben ließen. Um sich derart auf eine Sache einzulassen, ist eine gewisse Verspieltheit nötig, – die bei meinen kindlichen Begleiter*innen reichlich vorhanden war. Maria Lugones schreibt: „Verspieltheit ist teils auch eine Offenheit dafür, ein Narr zu sein. Was wiederum bedeutet, dass man sich nicht um Kompetenzen sorgt oder sich selbst zu wichtig nimmt, dass man Normen nicht als heilig ansieht und dass man Ambivalenz und Doppeldeutigkeit als Quelle von Weisheit und Freude wahrnimmt.“ (1987, 17).

Spielerisches Zuhören könnte uns vielleicht einen Weg aufzeigen, das Selbst zu dezentrieren und die Position des Menschen innerhalb eines weiter gefassten Miteinanders von Wesenheiten neu zu kalibrieren.
Zugleich könnte uns dieses Spielerische am Zuhören lehren, unserer Imagination zu folgen und uns für das zu öffnen, was wir nicht unmittelbar wahrnehmen können.

Zitate

Bajsić Brazzoduro, Pavlica, and Lucija Klarik. „Pavlica Bajsić Brazzoduro: ‘Audio Creates a Whole New Dimension.’” Siehe Stage, 2 May 2022, https://seestage.org/interview/pavlica-bajsic-brazzoduro-audio-creates-a-whole-new-dimension/. Stand 4. Mai 2022.

Donovan, Kate. ‘The Radio Garden. On Datscha Radio 17’. Expanding Radio. Ecological Thinking and Trans-scalar Encounters in Contemporary Radio Art Practice, 2018, S. 52-71.
https://archive.org/details/DONOVANExpandingRadio/

Lugones, María. „Playfulness, „World“-Travelling, and Loving Perception.” Hypatia, Vol. 2, No. 2 (Summer, 1987), S. 3-19.

Russell, Arthur. „Tower Of Meaning / Rabbit’s Ear / Home Away”, World of Echo, Upside Records/Rough Trade Records, 1986.

Tsing, Anna Lowenhaupt. „Arts of Noticing”, The Mushroom at the End of the World. On the Possibility of Life in Capitalist Ruins. Princeton University Press, 2015, S.17-27.

Vicuña, Cecilia. „Entering”, Poems, New York, 1983.

Übersetzung: Gabi Schaffner 2022

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Zuhören, Einfühlen und Mitmachen https://explore-dance.de/journal/exploredancefestival3/ Mon, 30 May 2022 10:01:58 +0000 https://explore-dance.de/?p=8939 Festivalbericht explore dance Festival #3 | 30. Mai 2022 [...]

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Foto: Angelique Preau

Zuhören, Einfühlen und Mitmachen

Ein Festivalbericht zum explore dance Festival #3 in Potsdam.

Von Astrid Priebs-Tröger und einer Einleitung von Oskar Smollny | 30. Mai 2022

Vom 20.-26.03.2022 fand in Potsdam das 3. Festival für junges Publikum von explore dance statt. Unter dem Motto „Freiräume ertanzen“ erlebten Besucher*innen eine Woche voll von Tanz, Workshops und Performances. Begleitend zu den Bühnenproduktionen und Pop Ups von sieben explore dance-Choreograph*innen wurde die Woche mit dem Symposium Tanz für junges Publikum für alle und überall eröffnet.

Tanz für junges Publikum ist noch lange nicht vollumfänglich im Kulturangebot für Kinder und Jugendliche etabliert. In einigen Orten, vor allem Großstädten, ist ein kontinuierliches Rezeptionsangebot im Aufbau, das jedoch zumeist nur auf temporärer Förderung basiert. Die körperfokussierte Kunstform Tanz besitzt das große Potenzial, dauerhaft eine wichtige Rolle in Kulturrezeption und -teilhabe für Kinder und Jugendliche zu übernehmen – vorausgesetzt sie wird in den kommenden Jahren strukturell und kulturpolitisch gestärkt.

In einem Diskursformat mit Beiträgen von Dörte Wolter (MECKLENBURG-VORPOMMERN TANZT AN) und Dörte Simon Rihn (Schulleiterin der Gemeinschaftsschule im Kloster Stift zum Heiligengrabe) wurde sich der Frage gewidmet, welche Voraussetzungen es braucht, um Tanz für junges Publikum auch jenseits der Großstädte möglichst vielen Kindern und Jugendlichen zugänglich zu machen – egal ob in der Fläche oder der Metropole. Welche künstlerischen Praxen und Angebote der kulturelle Bildung sind im ländlichen Raum möglich, wichtig und umsetzbar? Welche Erfahrungen gibt es in der Fläche mit mit Tanz und anderen Kunstformen?

Foto: Angelique Preau

Was für einen wichtigen Platz Tanz in der Kulturlandschaft einnimmt und welchen Beitrag er zur (politischen) Entwicklung junger Menschen leisten kann, hat sich die Potsdam Kulturjournalistin Astrid Priebs-Tröger während des Festivals angeguckt und ihre Eindrücke der vielfältigen Stücke im folgenden zusammengefasst.

Fotos: Angelique Preau

Ein Festival für junges Publikum

Linsensamen, Erdwürmer, Pappkartons, wie Sisyphus arbeiten oder sich 1000 mal küssen – das waren einige der Materialien und Themen, die an den sechs Festivaltagen des 3. Explore Dance-Festivals in der fabrik Potsdam fast 700 Kinder ab 6 und Jugendliche ab 12 Jahren in den Bann zogen.

Dabei ist es nicht leicht, im Angesicht der derzeitig überall gleichzeitig aufbrechenden Krisen vor allem mit Grundschulkindern über (ihre) Zukunft zu sprechen. Die Schweizer Choreographin Lea Moro, die am 20. März 2022 das Explore Dance-Festival eröffnete, hat diesen Versuch mit Ohren sehen unternommen, und er ist gelungen.

Kindliche Vorstellungskraft stärken

Denn Moro hat sehr unterschiedliche Mittel und Wege gefunden, die gegenwärtigen Probleme nicht zu verschweigen, aber gleichzeitig auch die kindliche Vorstellungskraft – nicht nur für die Zukunft städtischen (Zusammen-)Lebens – zu stärken.

Ihr abwechslungsreicher Mitmach-Parcours begann im Theaterraum. Hier wurden die Grundschüler*innen im vibrierenden Halbdunkel mit einem Erdenwurm bekannt gemacht, der aus dem riesigen Koloss in der Bühnenmitte kriecht und von dort ins staubige Stadtleben eintaucht.

Kurz darauf traten dann alle Zuschauer*innen in drei Gruppen aufgeteilt und mit Kopfhörern auf den Ohren ins Freie und näherten sich den Elementen Erde, Wasser, Pflanzen, Tiere und Luft rund um die fabrik Potsdam zuerst sehr handfest, dann auch poetisch und träumerisch und zuletzt tanzend an.

Das trainierte die eigenen Sinne und fühlte sich meistens gut, beim Gulli auch ziemlich komisch an.

Energien von bergender Gemeinschaft spüren

Märchenhaft und zugleich spielerisch waren hingegen die nächsten Stationen. Der Geschichte von der Wasserquelle und der Schlange mit geschlossenen Augen zu lauschen und dabei ein Seil beständig durch alle Hände gleiten zu lassen, setzte viele Assoziationen frei. Auch die Imagination eines heraufziehenden Sturmes und die Energie von bergender Gemeinschaft stärkte die eigene Fantasie.

Zum Ende hin ging es noch einmal konkreter um Entwürfe, die ein Zusammenleben in der Stadt der Zukunft, „die weich und kuschelig und warm sein wird, weil wir die Klimaziele nicht erreichen“ möglich machen sollen. „Freiräume ertanzen“, so lautete auch das Motto dieses Festivals, fühlte sich auf den fabrik-Grünflächen gut an und auch die eingesprochenen Texte über die Flechten luden zum assoziativen Nachdenken ein.

Schade war nur, dass am Ende, als alle wieder auf der fabrik-Bühne saßen, die Wünsche, Ideen und Vorschläge der Kinder nur auf die metallisch glänzende Oberfläche des sich jetzt dort imaginierten Wasserbeckens geflüstert werden sollten. Es hätte mich schon interessiert, was die Stadtbewohner*innen von morgen selbst über ihre, unsere Zukunft denken.

Foto: Angelique Preau

Umdeutung klassischer Mythen

Zwei weitere Inszenierungen komplettierten den ersten Festivaltag. Am Nachmittag konnte man auf der Probebühne des T-Werks „Sisyphos“ begegnen. Immer noch ist Sisyphusarbeit ein geflügeltes Wort für eine ertraglose und dabei schwere Tätigkeit ohne absehbares Ende.

Doch schon als Anne Zacho Sogaard, Hermann Heisig und Thomas Proksch mit Gymnastik-Ball, Klapp-Leiter und Schaumstoffplatten zur Tür hereintanzten, dabei Zischlaute imitierend einen Rhythmus erzeugten, war klar, dass der klassische antike Mythos hier eine Umdeutung erfahren würde.

Heisig erzählte abschnittsweise die Geschichte des antiken Helden, der mehrmals den Todesgott Thanatos austrickst und schließlich mittels der Aufgabe, einen Stein auf einen Berg zu rollen, zum „ewigen Leben“ verdammt ist.

Klasse, wie die körperlich sehr unterschiedlichen Akteure dies tänzerisch, musikalisch und auch erzählerisch bewerkstelligten. Und schließlich ihre ganz eigene, sehr zeitgemäße Definition von Sisyphusarbeit finden, die mittels Pausen und der Fähigkeit, Wiederholungen und Scheitern auch spielerisch genießen zu können, schließlich doch zum Glücklichsein führen kann. Auch hier konnten die jungen Zuschauer*innen im Anschluss über das Gesehene diskutieren. Die Energie und den Witz von Happy Sisyphos werden die Jungen zukünftig mehr denn je gebrauchen können.

Mit den jungen Zuschauer*innen diskutieren

In zwei Inszenierungen des zweiten Festivaltages, der sich vorwiegend an jugendliches Publikum richtete, spielten Mauern eine wichtige Rolle. In PayPer Play eine die Bühne umschließende aus mehreren hundert Pappkartons und in This Wall Has No Title waren es Steinmauern, die sich in Stadträumen befinden und mit StreetArt versehen waren.

Beide Inszenierungen stammten von etablierten italienischen Choreograph*innen und zeigten in künstlerisch sehr unterschiedlicher Art verstörende Bilder, die an die (Alb-)Träume der westlichen Welt und deren gerade sichtbar werdenden Konsequenzen rührten.

Foto: Mehmet Vanli

Verstörende Bilder von den Albträumen der westlichen Welt

In This Wall Has No Title von Martina La Ragione und Andrea Rampazzo korrespondierte die Eingangssequenz mit René Magrittes berühmtem surrealistischen Gemälde „Die Liebenden“ von 1928.

In den ersten Momenten von This Wall Has No Title waren zwei Menschen zu sehen, deren Köpfe und Oberkörper wie auf dem Gemälde weiß verhüllt sind und die sich eng umschlungen tanzend bewegen beziehungsweise aneinander festhalten.

Später flackern Wortgruppen wie „It’s a free country“, „Welcome to hell“ oder „I don’t believe anything“ über die Wand hinter ihnen und die beiden Menschen verschwinden fast vollständig hinter einem zweidimensionalen elektronischen Barcode, dem sie lediglich durch eigene Bewegung etwas entgegensetzen respektive entkommen können.

In Andrea Costanzo Martinis PayPer Play geht es ebenfalls um Kommerz. Pay-Per-Play ist ein Begriff aus dem E-Commerce und bedeutet „pro Spiel bezahlen“. Das „Spiel“ findet hier zwischen übermannshohen Pappkartonwänden statt, zwischen denen ein Junge im Schlafanzug zuerst traumwandlerisch tanzt und nach und nach immer mehr konsumiert.

Foto: Yair Meyuhas

Einsamkeit und Konsum – Die Macht der Dinge

Weil er zwischen den leblosen Pappgegenständen trotzdem einsam ist, ordert er per Bildschirm einen Spielkameraden, der zwar schnell spiegelbildlich von ihm lernt, mit ihm jedoch keine wirkliche Beziehung aufbauen kann. Die ergibt sich erst auf Augenhöhe, als eine weibliche Ergänzung für den Spielkameraden per Klick geordert wird.

Martinis Inszenierung findet originelle und subtil nachwirkende Bilder für die Macht der Dinge, die uns inzwischen alle beherrschen; sie zeigt deren Wechselwirkung mit der menschlichen Psyche und letztendlich die Vernichtung alles Natürlichen, den Menschen eingeschlossen. Auch wenn dies hier betont spielerisch und in einer skurrilen Traum(tanz-)welt daherkommt, wird es konsequent bis zum bitteren Ende erzählt.

Auch La Ragiones This Wall Has No Title fand für die seelische Verwüstung des modernen Menschen am Schluss ein starkes Bild – die Projektion einer überdimensionierten Kinderzeichnung eines Menschen mit weit aufgerissenem Mund, die wiederum Edvard Munchs „Schrei“ in bildhafte Erinnerung ruft.

Und während diese Inszenierungen Bezug auf bedeutende Kunstwerke des vergangenen Jahrhunderts nahmen, spielte 1000 Kisses von Raymond Liew Jin Pin und Jascha Viehstädt im Hier und Jetzt und untersuchte ganz direkt, ob es möglich ist, sich tausend Mal zu küssen, ohne dass es erneut in Sisyphusarbeit ausartet. Das Festival jedenfalls begeisterte mit Vielfältig- und Leichtigkeit und gerade die jüngeren Kinder ließen sich fröhlich und bereitwillig auf die Möglichkeiten des Mitmachens ein.

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